




Es ist wieder Herbst und Winter. Gerade in dieser Jahreszeit hören wir besonders gern Musik von Johannes Brahms.
Vielleicht möglichst an einem Holzfeuer-Kamin sitzend, der gemütlich flackert, wenn es draußen stürmt und die Herbstblätter im Winde fallen und an die Vergänglichkeit gemahnen. Besonders jetzt erfreut die Herzenswärme und zugleich Schwermut von Brahms so kunstvoll gesetzten Kompositionen.
Eventuell genießt man dazu noch eine feine Zigarre, wie es Brahms selber tat, und einen schweren Rotwein oder Cognac und das Brahms-Glück, sofern es so etwas gibt, ist nahezu vollkommen und ein Anflug schlechter Laune kommt erst gar nicht auf.
Eine kleine Auswahl an Aufnahmen, die sämtlich beim Entdecker-Label CPO erschienen sind, möchte ich hier vorstellen.
Voran steht eine Gesamtaufnahme aller vier Sinfonien des Meisters und weiterer Orchesterwerke, in nach den Quellen revidierten Partituren des englischen Brahms-Forschers Robert Pascall.
Ihm möchte ich diesen kleinen Essay zu Brahms widmen, ja vielmehr seinem Andenken.
Vor über 14 Jahren bin ich Robert Pascall zufällig in Baden-Baden begegnet, wir interessierten uns für eine schöne alte bei Cotta erschienene Ausgabe der Gedichte Emanuel Geibels aus dem 19. Jahrhundert, die unvollständig war, aber eben sehr apart und kamen deshalb ins Gespräch. Denn wer interessiert sich in unserer schnelllebigen überwiegend rein materialistisch orientierten Zeit noch für alte schöne Bücher weitgehend vergessener Dichter? Wir erkannten wohl unseren sympathischen Spleen und das wir keine Menschen sind, die auf trendige Schwarten irgendwelcher gehypter Bestsellerlisten abfahren.
Bald kamen wir dann auf Johannes Brahms zu sprechen, der ja Verse Geibels vertont hatte. Robert Pascall lud mich ins Brahms-Haus nach Lichtental ein und wir hatten zusammen mit seiner Frau eine schöne Gesprächs-Runde. Diese wollten wir fortsetzen, aber dazu kam es nicht mehr.
Als ich vor gut 6 Jahren eine Zeit lang im Brahms-Haus weilte, war Robert Pascall leider verstorben und ich konnte dort nur noch in seinen Büchern lesen.
Der Dirigent der Aufnahme mit allen vier Sinfonien und der Tragischen Ouvertüre, den Haydn-Variationen und der Akademischen Festouvertüre ist der Geiger Andrew Manze, vor allem bekannt als brillanter Barock-Violinist, aber auch als Gastdirigent solcher Klangkörper wie des Helsingborg Symphony Orchestra, das seit 1912 besteht. Gerade bei diesem Orchester spielten die Brahms Sinfonien eine wichtige Rolle.
Freilich ist das eine Aufnahme mit modernen Instrumenten, was aber nicht heißt, dass hier keine Erkenntnisse der Historischen Aufführungspraxis angewandt werden. Ganz im
Gegenteil! Andrew Manze macht sich Gedanken hinsichtlich Tempi und Besetzung wie Aufstellung des Orchesters und findet eine überzeugende Lösung für diese Kronjuwelen der sinfonischen Literatur des späten 19. Jahrhunderts wie auch der anderen Orchesterwerke.
Freilich gibt es gerade von den Brahms Sinfonien sehr viele Aufnahmen. Dennoch ist das hier eine besondere Variante, die auch Kennern neue Aspekte bieten mag. Zumal ja die Partituren von einem Kenner wie Robert Pascall revidiert worden sind. Brahms klingt hier irgendwie entschlackt und spannend, ja ausgesprochen lebendig.
Es kommt kein Gründerzeit Plüsch und Plunder in Noten auf. Ganz im Gegenteil, Brahms wird als würdiger Nachfolger eines Beethoven gedeutet. Und in der Stringenz seiner Einfälle und der kühnen Instrumentierung ersteht jede Sinfonie mit der ihr eigenen Größe wie neugeboren. Dasselbe gilt für die Variationen und die beiden Ouvertüren. Zudem ist das Klangbild vorbildlich.
Ein Pendant zu den Sinfonien bietet die CD mit den beiden bereits zu Brahms Zeit als Hofkapellmeister in Detmold entstandenen Serenaden für großes Orchester. Wie eine Vorstufe zu Brahms Sinfonien muten diese bedeutenden Stücke an. Wobei die zweite Serenade mit Ihrem duftigen Bläsersatz ein wenig an die Serenaden-Tradition des 18. Jahrhunderts im Klangbild der Romantik anknüpft, während die erste Serenade mehr sinfonisches Gewicht hat.
Hierbei setzt Dirigent Andreas Spering konsequent mit der Capella Augustina auf historische Instrumente und Spielweise aus der Ära von Brahms. Der Klang hat insgesamt zusammen mit den Holzbläsern eine größere Wärme und der Satz scheint insgesamt besser durchhörbar, es ist das alles andere wie ein Klangbrei aus der Romantik mit waberndem Vibrato. Alles pulsiert hier straff und ist dennoch voller Lyrik.
Eine besondere Edition allein schon in ihrer Vollständigkeit hält CPO bereit mit der Gesamtaufnahme sämtlicher Lieder von Brahms.
In der Box sind ebenfalls die Volksliedbearbeitungen wie das Spätwerk der Vier Ernsten Gesänge von Brahms enthalten.
Somit bekommen Brahms-Fans alles was das Herz begehrt und gesungen von drei verschiedenen Stimmen, wie Juliane Banse, Iris Vermillion und Andreas Schmidt begleitet von Helmut Deutsch auf dem Flügel.
Für Johannes Brahms war die Gattung Lied sehr wichtig und der Komponist war in diesem Genre sehr aktiv. Gut über 200 Lieder sind überliefert und wurden bereits zu Lebzeiten des Komponisten in vielen Sammlungen publiziert, ursprünglich waren es wohl noch mehr. Viele seiner Jugendlieder hat Brahms später vernichtet.
Aber Brahms war durchaus ein sehr an der Weltliteratur interessierter Leser und insbesondere Kenner der Lyrik. Allerdings bevorzugte er meist, von Ausnahmen abgesehen, eher Lyrik der zweiten Wahl, weil Brahms mit Recht meinte, man könne guten aber nicht vollkommenen Gedichten musikalisch aufhelfen.
Freilich gibt es dann ebenfalls Vertonungen Goethes und Mörikes, ja von Heine und Eichendorff, Rückert, Hebbel oder von Hölty, deren Gedichte über allen Zweifel erhaben sind.
Brahms findet in seinen Liedern einen ganz eigenen Tonfall und eines seiner Vorbilder war neben Franz Schubert ferner das Liedschaffen seines Freundes Robert Schumann.
Die Interpretationen der Sängerinnen und Sänger dieser Aufnahme zusammen mit der vorbildlichen Klavierbegleitung lassen die Kleinode der Brahms‘schen Lieder leuchten und es ist eine faszinierende Reise in sein Liedschaffen.
Auch das berühmte Wiegenlied aus des Knaben Wunderhorn „Guten Abend, gute Nacht“ darf hier nicht fehlen oder der einzige wirkliche Liederzyklus von Brahms der „schönen Magelone“ von Ludwig Tieck. Dieser Zyklus wird ausschließlich von Andreas Schmidt mit klarer Diktion und dramatischen Feingefühl angegangen und Pianist Helmut Deutsch zeichnet den anspruchsvollen Klavierpart der Magelone Lieder mit viel Ausdruck nach.
Besonders gefallen in dieser Aufnahme die Vertonungen Höltys und Mörikes wie Heines und Goethes.
Und auch Brahms Volksliedbearbeitungen in ihrer innigen Schlichtheit vermögen immer wieder zu verzaubern.
Besonders berührend sind endlich die Vier ernsten Gesänge aus Brahms letztem Lebensjahr, eine Mahnung an die Vergänglichkeit alles Irdischen und gleichzeitig eine Art Requiem auf die erkrankte Herzensfreundin Clara Schumann in Vorahnung ihres Todes, selbst wenn der Zyklus dem Bildhauer Max Klinger gewidmet ist. Brahms schrieb in einem Brief an Marie Schumann: „ Aber
ich bitte, sie als ganz eigentliches Totenopfer für Ihre geliebte Mutter anzusehen und hinzulegen!“. Alle Liedvertonungen von Brahms sind in jedem Fall ein Schatzkästlein für den arrivierten Liederfreund und es ist eine günstige Gelegenheit das komplette Oeuvre in mustergültiger Interpretation kennen zu lernen.
Ein Pendant dazu liegt mit der Aufnahme sämtlicher Brahms’scher Duette und Vokalquartette vor. Wieder begleitet Helmut Deutsch am Flügel teils dieselben Solisten wie bei der Aufnahme sämtlicher Lieder. Hinzu treten dann Ingeborg Danz und Christoph Prégardien und Marcus Ullmann. Hier wird Brahms als Unterhaltungskünstler für den Salon der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebendig.
In der gehobenen Hausmusik waren besonders die Duette geschätzt. Und für arrivierte Gesangstalente die Quartette. In dem Wechsellied zum Tanz etwa wird es tänzerisch beschwingt und gerade in den frohen Liebesliederwalzern zeigt sich Brahms unbekümmert und von seiner humorvollen Seite. Es ist bekannt, dass er sich gerne bei gesellschaftlichen Anlässen ans Klavier setzte und Walzer spielte. Seine Wahlheimat Wien wird hierbei mit allem Charme im Walzertakt beschworen.
Temperamentvoll und mit folkloristischem Kolorit zeigt sich der Komponist insbesondere bei den Zigeunerliedern.
Freilich gibt es viele Aufnahmen dieser Stücke, teils sogar in chorischer Besetzung. Hier in der solistischen Besetzung besticht die Klarheit der Linien und das Timbre großer Stimmen.
Den Beschluss dieser kleinen Auswahl an CDs mit Johannes Brahms vereint das Violinkonzert seines Freundes Robert Schumann mit Brahms letztem Orchesterwerk, nämlich dem Doppelkonzert für Violine und Violoncello.
Wieder dirigiert Andrew Manze, diesmal allerdings die NDR Radiophilharmonie. An der Violine brilliert Antje Weithaas und Maximilian Hornung gibt dem Violoncello einen noblen sonoren Tonfall.
Robert Schumann schrieb sein Violinkonzert kurz vor seiner geistigen Umnachtung. Da seine Familie darin Stellen vermutete, die seinen Wahnsinn belegen, wurde das Stück lange unter Verschluss gehalten. Heute verwundert dass, denn außer ein paar Ungewöhnlichkeiten, wie etwa der eher tiefen bis mittleren Lage der Solo-Violine, kann der heutige Klassik-Liebhaber darin nichts völlig nach Wahn klingendes finden.
Leider kam es erst in der Nazi-Zeit zu einer bearbeiteten Uraufführung, da man damit das nun verpönte Mendelssohn Violinkonzert ersetzen wollte. Zeitgleich wurde durch Yehudi Menuhin die Original-Version in New York aufgeführt. Zum Glück zählt es indes wieder zusammen mit dem Mendelssohn Werk zu den großen romantischen Violinkonzerten.
Noch etwas verbindet das Schumann Konzert mit den entsprechenden Konzerten von Brahms, so auch dem Doppelkonzert. Alle Konzerte wurden für den großen Geiger Joseph Joachim geschrieben und der Violinpart wurde sogar von ihm mit beraten.
In beiden Konzerten entfaltet sich die deutsche Romantik auf das Schönste und die vorliegende Interpretation zeigt Schumann und Brahms im besten Licht.
Also, wann immer Ihnen nach Brahms ist, legen Sie diese vorzüglichen CDs auf.
Jean B. de Grammont

