Telemanns INO Kantate und Opernarien

Die Telemann Renaissance scheint im vollem Gange. Bislang brauchte es mindestens 10-20 Jahre bis eine neue Einspielung der Ino Kantate erschien. Und allzu viele Einspielungen gibt es bisher nicht. Das liegt aber auch daran, dass dieses dramatische Spätwerk des Meisters eine Ausnahme-Stimme erfordert. Jetzt ist anno 2024
bereits die zweite Einspielung binnen eines Jahres
erschienen beim Label CPO. Zusätzlich zur Ino Kantate sind hier ausgewählte Opern-Arien und zwei Instrumentalstücke aus dem ebenfalls nach 1763 komponierten Konvolut für den Landgrafen von Hessen Darmstadt aufgenommen worden. Siehe dazu auch unsere weiteren Besprechungen einmal unter Barock „Von Hessen-Darmstadts Glanz und Podagra“ und mit dem Stichwort Ino und späte Orchesterwerke. Das Boston Early Music Festival machte es diesmal möglich. Die Aufnahme allerdings entstand während eines Gastspiels in Bremen. Das Booklet verfasste Steve Zohn, der Experte für Telemann in den Staaten. Erfreulich ist, dass auf des großen französischen Schriftstellers Romain Rollands Verdienste um Telemann hingewiesen wird. In einem Essay aus den 1920er Jahren beschreibt Rolland Telemanns Genie und Größe sehr treffend und widmet gerade der Ino Kantate treffliche Zeilen. Das war der Beginn einer Telemann Renaissance für weite gebildete Kreise.
Es singt die vorzügliche amerikanische Sopranistin Amanda Forsythe, es spielt das Boston Early Music Festival Orchestra. Man könnte sagen America makes Telemann great again. Denn diese Ino Deutung ist eine Referenz Aufnahme. Die dramatische Metamorphose der Ino zur Meergöttin Leukothea in Karl Wilhelm Ramlers wohlgesetzten poetischen Versen mit dem musikalischen Genie eines Telemann wird hier ganz in ihrer frühklassischen in der Art eines Christoph Willibald Gluck aber ebenso Haydn und Mozart sehr glücklich interpretiert. Denn Amanda Forsythe singt mit wunderbarem Timbre lieblich wie dramatisch und gelenkig. Wie hätte es Mozart formuliert“ mit geläufiger Gurgel“. Das Boston Orchestra begleitet mit zupackendem Elan und feinsinnig in satter Streicher-Besetzung und mit Traversflöten und Naturhörnern. Hier kommt auch im Continuo eine Laute zum Zuge, da Paul O‘Dette mitwirkt. Zusammen mit Stephen Stubbs und Robert Mealy stehen alle drei leitend hinter diesem erstklassigen Telemann.
Als Ouvertüre steht diejenige in D mit zwei Traversflöten und Orchester voran. Perlend musiziert. Dazu tritt aus demselben Stück die Fanfare mit Hörnern und pulsierenden polnischen Anklängen. Ansonsten ergänzen wunderschöne Arien das Programm aus Telemanns immer noch zu wenig gewürdigten Opernschaffen.
Aus der frühen Leipziger Oper Telemanns Germanicus hören wir eine betörende Klage der Aggrippina. Das ist so italienisch kantabel wie Händel! Aus der bedeutendsten deutschsprachigen Oper vor Mozarts Zauberflöte, nämlich Telemanns „Emma und Eginhard“ erklingen zwei Rezitative und Arien der Emma, die eine schwelgerisch, die zweite mit virtuosem Horn-Solo. Alles bestens gesungen und musiziert. Weitere Perlen aus Flavius Bertaridus verzaubern, darunter eine berrückende Nachtigallen-Arie. Nicht zuletzt entzückt eine muntere Arie aus dem neumodischen Liebhaber Danon. Alle Arien machen Lust auf mehr von Telemanns Opern. Hoffen wir das aus Boston weitere Aufnahmen folgen. Ausgerechnet von Emma und Eginhard gibt es bis heute keine einzige Gesamtaufnahme.Trotz verdienter Bühnenpräsentationen u.a. von Michael Schneider und René Jacobs. Es wird höchste Zeit, solche Opernkunst auf Tonträger zu bannen!
Jean B. de Grammont