Fotocredit Festspielhaus Baden-Baden Andrea Kremper
Während des Herbst Festivals la Grande Gare des Festspielhauses Baden-Baden konnte man heuer gleich zwei Gluck Opern erleben. Was sehr erfreulich ist, denn Christoph Willibald Gluck bereitet immer Opern-Glück und sollte noch mehr gespielt werden.
Über die konzertante Iphigénie en Tauride haben wir ausführlich gehandelt. Als zweites kam Glucks berühmte Reformoper L‘ Orfeo nach dem Libretto von Ranieri de‘ Calzabigi zur Aufführung in der
gestrafften Parma-Fassung von 1768 in einem Akt mit sieben Szenen, umgearbeitet anlässlich einer Fürstenhochzeit, der Häuser Habsburg und Bourbon-Parma.
Dieser L‘Orfeo war wieder ein Meilenstein der Operngeschichte. Nach Claudio Monterverdis für den Hof der Gonzaga im frühen 17. Jahrhundert komponierten L‘Orfeo, zwar nicht der ersten Oper überhaupt, aber die erste wirklich Bedeutende, fand der Stoff über den thrakischen Sänger der kraft der Musik die Geister der Unterwelt zu beschwören vermag und seine geliebte Euredice aus dem Hades -zunächst wenigstens- befreien kann, immer wieder Verwendung in der Oper. In der Barockzeit etwa in Georg Philipp Telemanns herausragendem Drama „Orpheus oder die wunderbare Beständigkeit der Liebe“ für das Hamburger Opernhaus vom Ende der 1720iger Jahre. Nach Gluck dann wieder in „Anima del Filosofo-Orfeo e Euridice“ einer Oper für London von Joseph Haydn.
Glucks Oper wurde sogar halbszenisch wirkungsvoll inszeniert und in Star-Besetzung aufgeführt. Denn Cecilia Bartoli übernahm die ursprünglich für einen Sopran-Kastraten komponierte Rolle des Orfeo. Melissa Petit sang gleich beide Partien des Amor und der Euridice. Hinzu kam das Vokalensemble Il Canto di Orfeo. Das Originalklang Orchester „Les musiciens du Prince-Monaco“ vom Opernhaus Montecarlo unter dem Dirigat von Gianluca Capuano gab ein Gastspiel.
Glucks L‘Orfeo in der Pariser Fassung von 1774 live und konzertant zu erleben, hatte ich vor sehr langer Zeit in Paris das Glück im „Theatre aux Champs Élysées“ unter Leitung von Jean Claude Malgoire mit namhaften Solisten und ebenfalls historisch informiert. In Paris gab es Gluck sogar als Matinee. Danach vor gut 5 Jahren in einer Inszenierung John Neumeiers im Festspielhaus Baden-Baden mit dem Freiburger Barockorchester. Cecilia Bartoli hörte ich zuletzt vor längerer Zeit im Opernhaus Zürich live in der Rolle der Cleopatre in Georg Friedrich Händels Giulio Cesare.
Doch zurück nach Baden Baden. Nach einer prunkvollen Ouvertüre mit Hörnern in einem raschen Satz, lebendig und funkelnd gespielt, beginnt das Drama. Die Streicher des Orchesters stehen auf der Bühne, ein Hammerklavier verstärkt den Basso Continuo. Und da steht auch eine große Harfe, zugleich das Symbol für Orpheus. Der Chor der Nymphen und Hirten beklagt Euridices Tod. Orfeo ruft klagend herein in diesen wunderschönen hymnischen Trauerchor mit seiner schlichten ergreifenden Melodie.
Das Vokalensemble Il Canto di Orfeo gestaltete klangschön und mit Empfindsamkeit, ja es fing den Geist dieser Musik trefflich ein. Mit Lichtern in den Händen schritten die Sängerinnen und Sänger auf die abgedunkelte Bühne. Vorne vor dem Orchester lag reglos in weißen Gewändern Euridice. Cecilia Bartoli, in einen hellen Hosenanzug gekleidet, ließ ihren warmlauteren Mezzo leuchten. Die Szenen fließen in Glucks Azione teatrale fast nahtlos ineinander über wie in einem Film. Im folgenden Rezitativ klagt Orfeo und Amor erscheint ihn zu unterstützen. Melissa Petit gab der melodisch zarten Arie Amors feinen Schliff mit ihrem klaren süßen Sopran. Mit angefteten Flügeln und in einem hübschen weißen Kleid machte Amor eine gute Figur und stellte zugleich die Spielregeln auf, dass Orfeo seine Euridice nicht ansehen dürfe, wenn sie aus dem Reich der Schatten komme. Orfeo beschwört die Geister des Abgrunds. Die Harfe bekommt ihren Part zu Pizzikato und inmitten des furiosen Chores der Furien und Geister hebt Orfeo seinen betörenden Gesang an, Cecilia Bartoli nimmt ihren Part ausdrucksvoll in der ihr geläufigen Weise, der Chor schleudert immer wieder ein wuchtiges No entgegen. Im Orchester verstärken Posaunen den Affekt der Geister. Allmählich werden Furien und Geister nachdenklich, sie sind beschwichtigt durch die Macht der Musik. Welch eine Szene ist das, die Gluck hier erfindet! Wirkungsvoll umgesetzt durch Les musiciens du Prince, gerade auch in der intensiven Intrumentalmusik des Tanzes der Furien, welche hier in ihrer infernalischen Wildheit und Rhythmik voll ausgekostet wird mit ihren rasenden Läufen im Orchester, die der Szene der Überzeugung durch die Schönheit der Musik vorausgeht. Welch eine himmlische Vision schließt sich an mit der elysischen Ballett-Musik mit ihrem heiteren eingängigen Thema. Hier vom Solo-Flötisten Pablo Sosa auf der Flauto Traverso molto cantabile begleitet zu dem freundlich wogenden Streicherteppich. Der Flötist wandert unterdes quer über die Bühne. Orfeo stimmt seine große Arie an, die elysischen Gefilde preisend. Das Bühnenlicht wird hell und heiter. Das ist ein großer Arien-Moment, der Gesang der Vögel, das Murmeln der Bäche, das Säuseln der Lüfte wird eingefangen in einer bukolisch malenden, schildernden Musik vom Feinsten, mit einer wunderschön geführten Singstimme der Bartoli. Alles läuft nun in Accompagnati und wechselnden Gesängen von Orfeo und seiner wieder verlebendigten Euridice auf ein vermeintliches lieto fine hinaus.
Die Anspannung ist beiden Protogonistinnen anzumerken. Euridice wirft ihrem Retter, da er sich abwendet in Unkenntnis der Orfeo auferlegten Regeln, Liebesentzug vor. Die musikalische Spannung stieg und die Bartoli wie die Petit gaben auch gestisch ihr Bestes. Da passiert es, Orfeo wendet sich seiner Euridice zu, umarmt sie. Euridice ist verloren und muss zurück in die Unterwelt. Es dunkelt auf der Bühne. Orfeo stimmt seine berühmte Klage an, eine Melodie, die eigentlich gar nicht traurig ist, sondern eher entrückt. Seitdem ein echter Ohrwurm der Opernmusik, der ebenso in Baden-Baden seinen Zauber entfaltete.
Endlich wird im Tempel des Liebesgottes Amor die Liebe gepriesen vom Chor und von Orfeo selbst, schließlich wurde in Parma Hochzeit gefeiert. Also irgendwie doch ein lieto fine und wenn auch nur als Konzession an das Publikum von damals, aber desgleichen von heute.
Mit Schwung und gebotener Festlickeit stimmten alle ein. Il viva il maestro Gluck, der uns diesen Mythos so göttlich schön in Töne gekleidet.
Jean B.de Grammont