Melodramen & Goldberg-Variationen
Im Wolkensteinsaal des Kulturzentrums Konstanz gab es am Mittwoch, den 25 Oktober 2023, eine wundersame Melange aus einem Alt-Meister und drei lebenden zeitgenössischen Komponisten. Zudem Lyrik.
Denn die melodramatische Kunst stand neben der Rezitation verschiedener Gedichte im Mittelpunkt des Abends der teilweisen Uraufführungen.
Man könnte von den 3B und einem JSB sprechen.
Sich erinnern an einen weiteren B, namens Georg Anton Benda. Denn dieser aus Böhmen stammende Kapellmeister Benda zu Gotha in Thüringen pflegte im 18. Jahrhundert die Kunst des Melodrams in der großen Form des Singspiels. Sein Meisterstück Romeo und Julia hatte der Schreiber dieser Zeilen das Vergnügen im Schloss Grein an der Donau während der Strudengau Festwochen vor langer Zeit einmal live zu erleben. Übrigens einem Schloss, dass sich damals zumindest nach wie vor im Besitz der Familie Sachsen-Coburg-Gotha befand.
Es war also kein schlechtes Umfeld, dass wir aufzusuchen Gelegenheit hatten. Eine Sitte, die wir gerne pflegen. Mit der eigentümlichen Lizenz während der Hinreise einen Siebener V8 schneller als erlaubt über die Autobahn zu jagen. Denn der Kaffee im Tomaselli zu Salzburg schmeckte so gut und man traf in der Festspiel-Pause gute Bekannte. Mozart leider nicht mehr. So blieb ich länger als vorgehabt. Es war schließlich die Melodramatik, die rief und neben dem Landeshauptmann drückte wohl selbst Thomas Bernhard ein Auge postum zu. Das Gendern war seinerzeit noch nicht zwangsneurotisch und die Gendarmen zeigten wohlwollende Nonchalence.
Und das sogar in Österreich! Und der Kaffee wartete schon im Biedermeiersalon des Café Griensteidl am Markt mitsamt einem Konterfei Franz Schuberts.
Wie auch immer, kehren wir zurück zu den 4B in Konstanz.
Johann Sebastian Bachs berühmte Goldberg Variationen, freilich in gestraffter Form geboten, bildeten die Klammer und den Rahmen zu den zeitgenössischen Stücken und Gedichten, über die wir hier berichten.
Der Kammer-Cembalist Johann Gottlieb Goldberg, seines Zeichens Compositeur und privater Cembalist von Graf Hermann von Keyserlingk, seinerseits russischer Gesandter am sächsisch-polnischen Hof zu Dresden, hatte die Ehre in den zuweilen schlaflosen Nächten seines Dienstherrn das Cembalo zu spielen. Dafür, so will es die Legende, komponierte Bach die Aria mit Variationen, fortan Goldberg Variationen genannt.
Eine der großartigsten Variationszyklen der Musikgeschichte.
Die Pianistin Claire Pasquier gab am modernen Flügel zunächst die zauberhafte Aria in eher romantischer Ausformung, aber sehr klar und schön ausgesungen.
Danach ging es gleich in die Gegenwart mit zwei Kammer-Melodramen des Schweizer Komponisten Frederic Bolli nach Gedichten des Komponisten und Poeten Karel Pexidr. Es rezitierte deutlich und mit klarer Diktion Wolfgang Beuschel.
Mit marschartigen Akkorden begann Bollis Komposition zu Pexidrs lyrischer Geschichte über den kleinsten Riesen aus dem Zwergenleben. Der größte Zwerg auf der ganzen Welt wurde musikalisch sehr witzig geschildert. Eher zarte Begleit- Farben setzt Bolli ein, um das Gedicht der Mensch und der Regenbogen anschaulich in Tönen zu schildern. Anklänge an die Musik des Impressionismus und die Musik eines Claude Debussy finden sich darin. Die Verse über die Weisheit der Eule wurden gesprochen. Das Gedicht über ein Stückchen Kohle inspirierte Bolli wiederum zu rhythmisch pointierten Akkorden und einem gewissen Glimmen in der Musik.
Danach gab es einen ganzen Strauß an Goldberg-Variationen, von Claire Pasquier funkelnd, elegant und poetisch gerankt.
Ivan Blatnys Gedicht in Prosa aus den melancholischen Spaziergängen wurde wiederum rezitiert. Während das Gedicht die Nacht den deutschen Komponisten Holmer Becker zu einer expressiv ausgeformten Szene mit Dissonanzen inspirierte. Abgerundet wiederum von einem gesprochenen Gedicht aus dem melancholischen Spaziergängen.
Nun folgte die Variation über das Lied Kraut und Rüben aus Bachs Goldberg Variationen wie auch einige betrübte Abschnitte in ihrer raffinierten melancholischen Harmonik. Endlich beschloss das ausgedehnte Konzert-Melodram des böhmischen Komponisten Jiri Bezdeck das Programm über einen Text von Vilesznav Nezval über die Tote aus der Seine. Eine makabre Geschichte nach wahren Begebenheiten über eine unbekannte Leiche, die in der Seine gefunden wurde.
Eine junge Frau, die offenbar Suizid begangen hatte und von deren Schönheit der Totengräber so fasziniert war, dass er eine Totenmaske anfertigen ließ. Diese wurde fortan in Künstlerkreisen nach 1900 in Paris ein schaurig schönes Requisit und oft kopiert.
In der Klangsprache greift Bezdeck dabei immer wieder auf impressionistische Einflüsse zurück. Es werden zahlreiche ausdrucksvolle Bilder geformt und der inhaltsreiche Text erscheint plastisch vor dem inneren Auge. Die tragische Geschichte der jungen Toten wird in diesem ausgedehnten Melodram in höhere Sphären gehoben, die berühren. Auch bei den modernen Stücken machte Claire Pasquier ihre Begleitung ausgesprochen gut und und setzte mit der Wiederholung der Aria Bachs einen würdigen Abschluss. Übrigens waren die Komponisten Bolli und Bezdeck im Konzert anwesend. Nur Holmer Becker war erkrankt und konnte leider nicht kommen.
Wohl hätten auch Bach und Benda gefallen daran gefunden. Und vielleicht schwebte deren guter Geist über dem Abend.
Jean B. de Grammont