Trois grimaces et deux limaces

Die lange Nacht der Bücher hat in Überlingen Tradition. Es waren die  zwanzigsten Jubiläums-Nächte, vom Freitag den 24. bis Sonntag den 26. November 2023.

So kam jetzt die Verbindung mit einer anderen Tradition Überlingens, nämlich die Pflege der zeitgenössischen Musik hinzu, welche bereits die Auftaktveranstaltung in der Städtischen Galerie im Faulen Pelz besonders machte.

Nach 1940 und dann wiederum nach Kriegsende nach 1945, war Überlingen für kurze Zeit gar ein Zentrum der musikalischen Avantgarde. Überhaupt fand sich damals viel Boheme am Überlinger See, darunter auch bedeutende Schriftsteller wie die Brüder Georg Friedrich und Ernst Jünger.

Aber zurück zur Musik. Kulturamtsleiter Michael Brunner sprach in seinen Begrüßungsworten von dieser Zeit.  Nach 1945 wurde hier gar ein Werk von  Paul Hindemith uraufgeführt.

Jetzt im November 2023 war es eine humorvolle Kammer-Komposition in unorthodoxer Besetzung des schweizer Komponisten Frederic Bolli, die zusammen mit three Preludes von George Gershwin den musikalischen Auftakt bildete. Komponist Frederic Bolli gab selbst eine kurze Einführung in sein Werk.

Alexander Bührer Sopran-Saxophon, Ralph Brodmann Alt-Saxophon sowie Volker Wagner Tenorsaxophon und Benjamin Engel Baritonsaxophon gaben zunächst George Gershwins Kompositionen, rhythmisch hurtig, swingend und smooth im Allegro ben ritmato e deciso, im dunkel gefärbten Andante con moto e poco rubato hob sich mit sanften melodischen Sopran-Saxophon Solo die oberste Stimme ab. Mit kraftvollen Klangfarben ging es dann ins Allegro ben ritmato e deciso.

Ein schönes Beispiel für klugen Humor in der Musik unserer Zeit ist sicherlich Frederic Bollis Komposition Trois grimaces et deux limaces für Saxophon Quartett und Schlagzeug. Ein Vorbild für Frederic Bolli ist Joseph Haydn. Dessen ausgesprochen feinsinniger Humor mag auch bei Bolli Pate gestanden haben. Übersetzt heißt das Stück drei Fratzen und zwei Nacktschnecken.

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Welch ein Titel! Und auf dem Partitur-Deckblatt sind auch drei Fratzen und zwei Nacktschnecken abgebildet Grimace No. 1 sorgte für eine pompöse Eröffnung mit viel Witz, die teils an Renaissance und Barock--Kompositions-Praktiken erinnerte und diese mit dezenten Sekundreibungen parodierte, ein Wechselspiel der Saxophone mit den Pauken und dem Schlagzeug entfaltete sich und entfachte eine ausgesprochen lustige Musik, die abrupt aufhörte. Die Saxophon Band verstärkten Marion Hafen mit Perkussion und Thorsten Wenz Pauken. Nach diesem festlichen Beginn zog nun die klebrige Nacktschnecke ihre Bahn.

Limace No. 1, was die Charakteristik Glutinoso gut umschreibt, sorgte dann mit Saxophon Klängen mit Tusch  für wabernd klebrige Melodie-Linien. In breit lagernden Akkorden, die sehr satt ausklangen zog die Schnecken-Musik dahin. Grimace No 2 war wiederum eine sehr üppig pompöse Grimasse, mit Holzschlagwerk sehr scherzend mit sattem Klang und flockigen Rhythmen. Eine sehr pittoreske Musik, die auch als Open Air geeignet wäre. Mit vielen Kapriolen hüpfte die Komposition dahin. Während Limace No 2  mit interessanten dickflüssigen Harmonie Folgen bestach, denn Viscoso lautet die Charakter-Überschrift. Spannungsvolle Dissonanzen kamen darin vor.

Wir konnten die dahinwabernde Schnecke geradezu in Gedanken sehen. Ein dunkelsattes Timbre. Tiefste Lagen im Baritonsaxophon und Tenorsaxophon, dramatische Gänge in hohe Lagen und Wirbel der Pauken wie kleine Soli  sorgten für Auflockerung dieses quasi Adagio Sostenuto. Endlich steuerte Grimace Nummer 3 einen sehr munteren Ausklang herbei.

Eine hellklingende ausgesprochen witzig pointierter Klangfratze, die wiederum mit rhythmischer Kraft und sehr raschen Skalen und in Dialogen zwischen Perkussion und Saxophon Soli in laufenden Kapriolen sich ergoss und auf die vielen folgenden Veranstaltungen der langen Nacht der Bücher musikalisch einen Akzent setzte und neugierig machte.

Jean B. de Grammont