La Grande Gare

La Grande Gare Herbstfestival 2023

Das alljährliche Herbstfestival des Festspielhauses Baden-Baden unter Leitung von Thomas Hengelbrock verteilte sich heuer auf verschiedene Spielstätten.

Es sind die Tage in der letzten November Hälfte, das gelbe Laub wird lichter und schütterer an den Allee- Bäumen der großen Lichtentaler Allee und die Winde wehen heftiger durch die Chausseen.

Eröffnet wurde das Festival im alten Grand-Theatre zu Baden-Baden. Eine Spielstätte wie aus dem Bilder-Buch.

Außen französischer Neoklassizismus des 19. Jahrhunderts, innen reinstes Neo-Rokoko mit Decken- Fresken, Logen und einem riesigen Lüster.

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Ein passenderer Rahmen für Kammermusik das frühen 19 Jahrhunderts lässt sich kaum denken. Hier kamen die Darmsaiten der Streichinstrumente in Beethovens drittem etwas widerborstigen  Streich-Trio in c-moll gut zur Geltung. Diese aufbegehrenden Melodielinien und Dissonanzen, die sich jeglicher Divertimento Konvention versagen. Natürlich kannte der junge Beethoven Mozarts einziges Streich Trio, aber dessen Muster lehnte er ab. Und die Mitglieder des Balthasar-Neumann Ensembles unterstrichen dies mit herber Klanglichkeit. Freundlicher wurde es dann bei Schuberts Sonaten-Sätzen, mit Christian Bezuidenhout am Hammerflügel. Ein edles Instrument, dessen dunkles  fein gemasertes Holz, auf der Bühne glänzte. Hier kam die Musik dem Motto des Konzerts "Musik der Salons" nahe. Biedermeier Melodien rankten sich sehr feinsinnig gespielt mit dem ausgesprochen charmanten Klang-Timbre: lichtvolle, leichte Töne schwebten hier. Den Raum des alten Theaters füllte der Klang des historischen Hammerklaviers bestens, hier sind viel feinere Nuancen möglich wie auf dem modernen Steinway-Flügel, der nur brillant und kraftvoll ist. Freilich im riesigen Saal des Festspielhaus wäre dieses Hammerklaviers eher untergegangen. Für diese Räume ist ein historisches Instrument weniger geeignet.

Eine munterere Spiel-Freude brach sich dann Bahn in Franz Schuberts berühmten Forellen-Quintett für Klavier und 4 Streicher inklusive Kontrabass. Divertimento-haft die Form. Und im dritten Variations-Satz nach Schuberts eigenem Lied "die Forelle" nach einem Gedicht von Friedrich Daniel Schubart: "in einem Bächlein helle, da schoss in froher Eil, vorüber die Forelle ganz schnell als wie ein Pfeil", gluckste und jauchzte es nur so in Trillern auf Tasten und Saiten. Der Klang wurde geradezu kammersinfonisch, rund, satt und homogen.

 

In eine ganz andere musikalische Welt ging es beim Konzert mit Madrigalen des 16. und 17. Jahrhunderts. Schauplatz diesmal die alte Stiftskirche von Baden-Baden. Der schöne spätgotische Innenraum mit seinen hohen Netzgewölben und gotischen Arkaden war ein passender Rahmen für die Musik der Renaissance und des  Früh-Barock. Solistinnen und Solisten des Balthasar-Neumann-Chores zusammen mit einem Basso Contino Ensemble nahmen mit auf eine musikalische  Reise nach Frankreich, Deutschland und Italien.

Das waren Agnes Kovacs und Bobby Blommesteijn Sopran, der Altus Terry Wey, Jakob Pilgram Tenor und Matthias Helm Bass, begleitet von Andreas Küppers an der  Truhenorgel, Michelle Pasotti Theorbe und Margret Köll Harfe. Zunächst wurde über die Chanson "Belle qui tiens ma vie"'improvisiert, und daraufhin ganz in die fünfstimmige schwebende Madrigallkunst eines Orlande de Lassus einzusteigen, wie der französisierte Name von Orlando di Lasso lautet.  Feinste schwebende Gesänge und kontrapunktische Linien entfalteten sich.

Während die Chansons von Antoine de Boesset sehr expressiv ausfielen. In Deutschland heißt Orlando di Lassus schließlich Roland von Lassus. Zwei deutsche Lieder desselben erklangen im feinziselierten 5stimmigen Satz sehr beweglich. Große Klangpracht und freudige Koloraturen bei Johann Herrmann Schein. Endlich ging es nach Italien mit der instrumentalen Ciaconna in G mit einer rhythmisch impulsiven Improvisation. Nachtigallen-Töne gab es in Orlando di Lassos Quel Rossignol und in dem sehr streng geführten fünfstimmigen Satz des Madrigals "Voi ch'asoltate" verzauberten betörende Klänge.

Zuletzt wurde endlich eine Blütenlese aus Claudio Monteverdis Madrigalbüchern serviert. Unter anderem mit dem Pop-Hit des Früh-Barocks für zwei Soprane über swingendem Basso-Continuo "Zefiro torna" und weiteren teils sehr expressiv dissonanten  Madrigalen früher Madrigallbücher des Meisters in höchster Vollendung. Vollendet auch der homogene Zusammenklang der Solisten wie die ausgezeichnete Stimmführung, so dass es eine Freude war zu lauschen. Und das gilt für das gesamte Konzert. Geradezu eine Korrespondenz aus filigraner Architektur des Kirchenraumes mit dem Klang der Musik ergab sich hier und bewies wieder einmal aufs neue wie ausdrucksstark und modern, die sogenannte Alte Musik sein kann. Sie ist und bleibt vielleicht das beste Kontrastprogramm zum gängigen Repertoire. Und richtet sich fast stärker gegen das Establishment wie die eigentliche Gegenwarts-Musik.

Zum ersten Mal ins Festspielhaus ging es mit dem Programm Harmonie Chormusik aus Deutschland und Frankreich. Unter Leitung von Lionel Sow brillierte der  Balthasar-Neumann-Chor begleitet am Flügel von Tanguy de Willencourt zuerst in Gesängen von Gabriel Fauré. Dieser vortreffliche Meister der französischen Spätromantik wird in deutschen Landen bislang eher vernachlässigt. Dabei hat er eine Fülle ausgezeichneter Vokal und Kammermusik hinterlassen. Daneben schrieb er wunderschöne Chansons, wie in Frankreich die Lieder heißen. Besonders berühmt ist seine Pavane, die anhand antiker Vergleiche Freuden und Leiden der Liebe umschreibt. Dieser Chorsatz beginnt mit einer seufzenden Klaviereinleitung. Eine schlichte aber betörende Melodie wurde vom Chor wunderschön ausgeführt. Zwei weitere Chorsätze Faurés überzeugten nicht minder. Nahezu perfekt war die Stimmführung wie auch das Accompagnement de Willencourts. Eine eindringliche Bitte um Frieden für Solo Sopran und Klavier von Francis Poulenc schloss sich an. Was in unseren Zeiten von schockierender Aktualität ist.

Endlich schlossen sich die Szenen der Walpurgisnacht vor Soli Chor und Klavier von Carl Loewe an. Ebenfalls ein Meister, der nach wie vor unterschätzt wird, da er allgemein nur mit dem komischen Genre in Verbindung gebracht wird. In Deutschland zieht man das Bierernste vor. Dabei entfalten gerade diese Szenen sehr viel dramatische Kraft und Wirkung, die hier ausgezeichnet umgesetzt wurde.

Weiter ging es mit Werken Francis Poulencs, einer Kantate für Chor a capella "figure humaine", die mit dem Ausruf Libertee im hohen C kraftvoll endet. Das überzeugte vollauf und belegte einmal mehr wie ausdrucksstark Chormusik sein kann.

Zuletzt setzten die bekannten Fest und Gedenksprüche von Johannes Brahms den feierlichen Schluss-Punkt.

Eine Hommage an den Meister, der so viele Sommer in Baden-Baden verbrachte. Diese Stücke leben von der altmeisterlichen Kontrapunktik, geschult an Johann Sebastian Bach,, aber sie werden verbunden mit einer spätromantischen Expressivität. Der Satz wird doppelchörig geweitet und ergab hier einen prächtigen Gesamtklang.

Die Folge der Konzerte beschloss Weltmusik. Ebenfalls im Festspielhaus. Unter dem Motto Connexion wurde eine atemberaubende Rhythmus-Musik-Collage herauf- beschworen. Sowohl unter Thomas Hengelbrocks Dirigat wie unter Leitung von Jose Antonio Mendes Padron. Die Cuban- European-Youth Academy spielte zusammen mit dem Balthasar-Neumann Orchester und Akademie wie einem Schlagzeug Ensemble. Dazu gab es viele Lazer-Show-Effekte. Das war alles auf seine Art temperamentvoll und sicher gut gemacht.

Allerdings gibt der Schreiber dieser Zeilen offen zu, dass ihm kubanische Zigarren besser schmecken.

Es war ein wenig einen Beitrag zum Populären, der freilich sein Publikum hat und berechtigt ist.

Jean B de Grammont