Kammermusik-Edition von Telemann

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Essercizii Musici overo dodeci Soli e dodici Trio a diversi stromenti, so der weitschweifige Titel einer Kammermusiksammlung Georg Philipp Telemanns von 1728, wie neuere Forschungen belegen. Übrigens stach sie der Komponist selbst feinziseliert in Kupferplatten.
Das heißt auf deutsch: musikalische Übungen in 12 Solo Sonaten und Triosonaten. Unter diesem Titel verbirgt sich ein gewisses Understatement. Denn es handelt sich um eine Sammlung höchst vielfältiger Stücke und fast alle im Barock gebräuchliche Instrumente der Kammermusik werden kombiniert. Und zwar so das jedes Instrument zwei Solo und vier Triosonaten erhält. Das sind Violine, Viola da gamba, Oboe, Flauto Traverso Flauto Dolce und Cembalo. Dabei gelingen dem Komponisten höchst moderne Kompositionen ihrer Zeit, die an Expressivität und Experimentierfreude nichts zu wünschen übrig lassen. Besonders avant la lettre sind vier Trios mit konzertierendem Cembalo. Ähnlich den Kompositionen Johann Sebastian Bachs und Carl Philipp Emanuel Bachs sind sie eine Art Vorform des späteren Klaviertrios. Zudem erhält das Cembalo zwei Suiten, im galanten Stil gehalten, die mehr das melodische in den Vordergrund stellen ohne auf eine kontrapunktische Kunstfertigkeit ganz zu verzichten. Die Violinsonaten sind sehr italienisch inspiriert, sie erinnern an Tartini und in einem ausdrucksstarken Siciliano sogar an Johann Sebastian Bachs berühmte Violin-Sonaten mit konzertierendem Cembalo. Die beiden Gamben Sonaten mit Continuo sind sehr vokal gedacht. In einem langsamen Satz gibt es sogar ein Rezitativo. Kurzum, es eine wahre Schatztruhe der Kammermusik in allerhöchster Qualität. Umso mehr verwundert es, dass dieser Zyklus bislang kaum aufgenommen wurde. Es ist die dritte Gesamteinspielung überhaupt, die vom Kassler Barock- Ensemble La Visione beim Label Querstand in bibliophiler Form vorgelegt wird. In einem geschmackvoll mit Tulpenmotiven Sibylla Maria Merians und zwei Auszügen des Notenstiches als Frontispiz Illustrierten Büchlein mit einem kenntnisreichen Kommentar des Herausgebers der Faksimile-Edition Professor Dr. Klaus Hoffmann sind vier CDs verpackt. Lange Zeit hat die Camerata Köln die Referenz-Aufnahme vorgelegt, das ist mittlerweile 30 Jahre her. La Visione hat diese großartige Interpretation nun übertroffen.
Der Continuo Part wird erweitert um Theorbe und Barock Gitarre. Alle Musikerinnen und Musiker des Ensembles geben ihr Bestes. Es wird virtuos musiziert ohne jegliche Attitüde und Übertreibung. Laura Frey etwa spielt die Gambe klangschön mit Schmelz und jenem leicht nasalen Ton, welche die Stimme eines aristokratischen Gesandten laut Hubert le Blanc in dessen Streitschrift Verteidigung du Viole de Gambe gegen die Anmaßungen der la Violon kennzeichnet. Isabel Schau spielt die Barock Geige mit hellem Timbre, leichter Schärfe und immer kantabel. Im Continuo spielen Susanne Hartig Violoncello und Hermann Hicketier Viola da Gamba akkurat und klangvoll, während Niels Pfeiffer und Christoph Lehmann sich am Cembalo abwechseln. Pfeiffer spielt die Soli auf dem Cembalo ausgesprochen elegant und feinsinnig. Zugleich spielt er die Theorbe mit feinsten Akkorden, Leon Jänicke steht dem nicht nach auf Theorbe und Barock-Gitarre. Während Antje Thierbach die Barock-Oboe mit klarer Tongebung und wunderbar differenziert singen lässt. Ildiko Kertez trifft auf der Flauto traverso mit rundem Ton und feinstem Hauch den elegischen Ton des Instruments der Aufklärung vortrefflich. Immer hellschimmernd
und in brillanten Läufen bewegt sich Martin Ripper auf der Flauto dolce. Zuletzt grundiert Rainer Johannsen immer sonor und kraftvoll bis holzig auf dem Barockfagott. Es ist eine Freude zu hören, wie sich die Stimmen mischen. Pastorales folgt auf verhaltene Klage. Man lausche dem Mesto von Oboe und Violine im g-moll Trio, oder dem Andante von Flauto dolce und Oboe im c-moll Trio, das etwas von Händel hat. Oder dem melancholischen Dialog der Gamben im dritten Satz des Trios mit Gambe und konzertierendem Cembalo und zugleich den Fugato darin im zweiten Satz.
Um nur wenige Beispiele zu nennen. Immer überwältigt der Einfallsreichtum und die Kunst der Komposition und man versteht weshalb der Musikschriftsteller und Komponist Johann Mathesson titelte: "ein Lully wird gerühmt, Corelli lässt sich loben, nur Telemann allein ist übers Lob erhoben"
Diese Aufnahme ist ein must have für Barock-Fans.
Jean B.de Grammont