Dona Nobis Pacem

Dona Nobis Pacem J. Neumeier J.S. Bach

Was ist das nicht für eine Musik? Johann Sebastian Bachs Messe in h-Moll, eine Missa Solemnis von außergewöhnlichen Dimensionen, voller Rätsel, höchstem Anspruch und  irgendwie fast vollkommener Zeitlosigkeit. Kurzum es ist ein großes Kunstwerk, wie gemacht für die Ewigkeit.

Das Kyrie und Gloria derselben komponierte Johann Sebastian Bach für den katholischen sächsisch-polnischen Hof zu Dresden bereits 1733.

August der Starke war gerade verstorben und August III sein inthronisierter Nachfolger. Dresden war ein Musenort par excellence mit einer der besten Hofkapellen Europas. Es war für einen Komponisten höchste und erstrebenswerte Ehre, den Titel eines sächsischen Hofkapell-Meisters zu tragen.

So auch für den protestantischen Thomaskantor Bach zu Leipzig in Sachsen.

Aber es war weit mehr, was Johann Sebastian Bach bei der Komposition antrieb. Bach wollte wohl ein Muster einer vollkommenen Messkomposition bieten. Später und insbesondere in seinen letzten Lebensjahren ergänzte Bach die Messe um die übrigen Teile.

Er kompilierte, feilte daran und überarbeitete viel früher aufgeführte Werke, vorrangig Kantatensätze zu einem neuen Ganzen. Längst ist die h-Moll-Messe ein Repertoire Stück geworden. Nicht allein eine konzertante Aufführung bietet sich an, sondern wie im Falle der Darbietung im Festspielhaus zu Baden-Baden eine tänzerische Interpretation  durch John Neumeier und das Hamburg Ballett. Mit dem Titel, der die Messe beschließenden Friedensbitte Dona nobis Pacem nennt John Neumeier sein Ballett bescheiden: "choreographische Episoden inspiriert von Johann Sebastian Bachs Messe in h-Moll". Das ist keinesfalls der erste Versuch Bachs hohe Messe zu inszenieren.

Fotocredit: Festspielhaus Baden-Baden Fotos Kiran West
DNP Sep. 29 2023 17 © Kiran West

Fotocredit: Festspielhaus Baden-Baden
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DNP Sep. 29 2023 © Kiran West
DNP Sep. 29 2023 19 © Kiran West

Das Ballett Neumeiers aber wird in der synästhetischen Symbiose mit Bachs Messe zu einer beeindruckenden Anklage gegen jegliche Form des Krieges, insbesondere dem Krieg der Moderne. Freilich bezieht sich diese  längst nicht allein auf den aktuellen Ukraine Konflikt, Neumeiers Ballett ist bereits vor Ausbruch dieses Krieges entstanden, resultierte aus dem Wunsch  in Verbindung mit Bachs geistlicher Musik zum 50igsten Jubiläum des Hamburg Ballett etwas Außergewöhnliches beizutragen. Vielleicht gerät die Musik bei dieser Form der Darbietung etwas ins Hintertreffen. Zumal das Freiburger Barockorchester und das Vokal Ensemble Rastatt und der Leitung von Holger Speck samt namhaften Gesangsolisten in den Orchestergraben verbannt werden. Aber wo sollen Sie auch hin? Die Bühne muss frei sein für die Ballett-Opern-,Messe im besten Sinne.

Entsprechend verhalten erklang zunächst das Kyrie eleison. Und sähe man nicht die Ausübenden musizieren, könnte man fast meinen die Musik erklänge über Lautsprecher. So zumindest die ersten paar Takte. Welch eine Fülle an passenden Tableaus und Ballettszenen aber entwickelt nicht das Hamburger Ballett nach der Choreographie, der Lichtregie und dem Bühnenbild John Neumeiers?

Das sind dunkle Bilder zunächst "Herr, erbarme dich!".

Stacheldrahtverhaue,  Schützengräben, graue Betonwände von Bunkern, woran die Fotos gefallener Kameraden hängen. Auf der Bühne robbt ein Soldat in olivgrünen Kampfanzug, schon im Foyer des Festspielhauses kroch einer auf dem Boden. Da ist ein Kriegstreporter und Fotograf gegenwärtig (Lennard Giesenberg), der wird später Gedichte von Jean Marc Bernard und Günter Kunert rezitieren wie aus dem Songtext "Imagine" von John Lennon und Yoko Ono. Wären da nicht die weißen und antik anmutenden Gewänder der Engel und einer Gemeinde, könnte man entfernt an einen Kriegsszenario des ersten Weltkrieges gemalt von Otto Dix denken. Die Bewegungen der Tänzer sind sehr reduziert. Und da ist ER, Aleix Martinez ein rätselhafter Kofferträger, halbnackt bis nackt, der wie ein Leitmotiv der Inszenierung und in  Zeitlupe über die Bühne sich bewegt oder mit zuckenden Gesten das leidende Individuum verkörpern mag.  Ein heiterer Kontrapunkt erscheint zum Christe eleison, junge tanzende Frauen in rosafarbenen Gewändern in  lebhaften Bewegungen. Passend zum Solosopran  der Solistinnen Marie-Sophie Pollak und Sophie Harmsen, die in leuchtenden Girlanden das Christe eleison zum Unisono der Streicher skandieren. Darauf wird mit dichtest gewobenen Kontrapunkt vom Chor wiederum des Kyrie eleison angestimmt.

Das folgende Gloria bietet genügend Raum zu tänzerischer Präsentation und musikalischer Finesse. Hier gewinnt erstmals der Chor kraftvollere Konturen mit rhythmisch akzentuierten Pauken zu  Trompeten-Glanz. Beim Abschnitt Et in terra pax springen wiederum olivgrüne Soldaten-Tänzer quer über die Bühne, als wollten sie den Frieden der Menschen die guten Willens sind stören. Ein Zeichen der Hoffnung wird das Domine Deus mit seiner jubelnden Flöten-Melodie zu silberhellen Streichern und pochenden Pizzikati zum Duett von Sopran  und  Tenor entsprechend zu einem Zweier-Tanz eines Paares umgesetzt. Es ist hier gar nicht der Raum, auf alle Details näher einzugehen. Etwa die große Tanzgruppe zu dem dissonanten Qui tollis  peccata mundi Chor. Die kraftvolle Gestik zum Bass-Solo des Quoniam tu solus sanctus mit Solo-Naturhorn und zwei Fagotten und der Gruppen- Tanz zum chorischen Finale.

Nicht weniger beeindruckend die folgenden Teile der Messe und ihre tänzerische Umsetzung vom Credo an. Meist gegeben als geballte Gruppentänze mit redundanten Bewegungen. Es gibt später eine Video-Sequenz, quasi tanzende Jünglinge im Feuerofen, eine Reminiszenz an die Atombombe von Hiroshima.

Mit einer an die Kreuzigung gemahndenden großen Tanzszene zur düster schneidenden Musik des Crucifixus, triumphalen Gesten zum Et resurrexit und dem Jubel des Sanctus geht es weiter.

Der kammermusikalischen Tenor-Aria mit beigesellter Flöte des Benedictus, dem machtvollen Doppelchor des Osanna. Dem fahlen Agnus dei mit Benno Schachtners überzeugenden Altus. Bis hin  zum bewegenden Schhlusschor Herr gib uns Frieden, Dona nobis Pacem!

Da geht ER inmitten der Tanzenden in Zeitlupe quer über die Bühne zu einer geöffneten Tür, aus der Licht fällt ins Dunkel. Bach und Neumeier, das Freiburger Barockorchester zusammen   mit dem Vokal-Ensemble Rastatt samt Solisten unter dem Dirigat Holger Specks  und dem großartigen Hamburg Ballett zeigen, dass es stets Hoffnung geben mag, auf Frieden und Seligkeit. Und sei es auch nur in den Tröstungen der Kunst und der Religion. Verdienter großer Applaus schloss sich an.

Jean B. de Grammont