Von Hessen-Darmstadts Gloria und Podagra
Telemanns spätes Geschenk zum Namenstag seines Freundes des Landgrafen Ludwig VIII von Hessen Darmstadt war eine Sammlung an Orchesterwerken, die er zwischen 1763 und 1766 komponierte. Bisweilen hatte der alte Telemann arge Probleme mit den Augen und es ist ergreifend zu sehen, wie er immer wieder die Feder ansetzt mit seiner charaktervollen Altershandschrift. Alle Werke sind nämlich im Autograph überliefert.
Namentlich darin enthalten sind fünf Ouvertüren-Suiten,
eine Sinfonia mit Suite und drei Divertimenti.
Ob es eine Folge extra für diesen Anlass komponierter Musik ist, oder ob sich die Sammlung aus mehreren Lieferungen an die Hofkapelle zusammensetzt muss offen bleiben. Dennoch mag es ein planhaft angelegter Zyklus sein. Ähnlich den Sammlungen Telemanns der "Essecizii Musici" und der "Musique de Table".
Allgemein ist es eine retrospektive Musik, aus der Rückschau des Alters entstanden, die zugleich avantgardistische Elemente enthält.
Telemann liebte die Ouvertüren Suite, insbesondere die Musik Frankreichs von Jugend an. So ist es einerseits verklärter Rückblick, andererseits wird im Detail die Musiksprache der Empfindsamkeit und das frühen Rokoko lebendig. Hinzu treten zwei reine Streicher-Divertimenti, eine Sinfonia Melodica sowie ein Divertimento das mit einer Overtura im Stil einer Sinfonia Concertante anfängt. Gerade diese Divertimenti belegen Telemanns Modernität nachdrücklich. Mithin sind es wohl die ersten Divertimenti der Musikgeschichte.
Giachino Rossini hätte von den Sünden des Alters gesprochen, so bezeichnet er selbstironisch seine wunderbaren späten Stücke. Bei Telemann sind es eher Freuden des Alters, die allerdings teils von Gicht und Podagra rein musikalisch allerdings getrübt werden. Hier findet sich ferner eine ausgeprägte Melancholie insbesondere in wunderbar poetischen langsamen Loures und Sarabandes wie Plaintes. Telemanns Divertimenti hingegen kennzeichnet ein ausgeprägter Buffo-Stil bzw. es sind geradezu Genre-Szenen im groß besetzten Divertimento mit zwei Jagdhörnern und Flauti Traversi anzutreffen.
La Stagione unter Michael Schneider hat sich diesem Zyklus mit viel Liebe zugewandt und erstmals vollständig mit historischen Instrumenten aufgenommen.
Erschienen ist alles beim Label CPO auf einer Doppel-CD. Das ist verdienstvoll. Der Musikwissenschaftler Wolfgang Hirschmann spricht von einer wahren Wunderkammer und trifft damit ins Schwarze.
CPO hat die Stücke unter dem Titel Schwanengesang subsumiert weil es sich um späte Werke handelt. Ich glaube aber nicht dass der Komponist diese Werke bewusst als Denkmal komponiert hat.Freilich wollte er den jüngeren Kollegen und Musikern noch einmal zeigen, wie die Vorwelt tanzte und musizierte. Man bedenke in den 1760iger Jahren komponierte Josef Haydn seine ersten prächtigen Sinfonien und selbst der junge Wolfgang Amadee Mozart begann mit dieser Gattung. Auch Carl Philipp Emanuel Bach und Wilhelm Friedemann Bach schrieben solche.
Telemann sprach einmal von der Wut der neuen Sinfonien, der er womöglich courtoise Grazie entgegen setzen wollte
Es ist vielmehr ein höchst lebendiger Spiegel der zu huldigenden Fürsten Persönlichkeit des Landgrafen und seiner Hofkapelle. Ludwig VIIl war ein begeisterter Liebhaber der Jagd und zudem ein Förderer der Künste und er komponierte selbst. Jagd wird in zwei Suiten schon lebendig durch den Einsatz der Waldhörner. Bereits die erste Suite im festlichen D-Dur ist ein Abglanz eines Hoffestes, die Ouvertüre rollt pathetisch daher, aber elegant gebrochen zirkelt sie wie eine Rocaille mit einem hurtigen Mittelteil, der Oboen, Hörner und Streicher munter konzertieren lässt. Sie eröffnet einen rauschenden Ball, dem sich aber eine Klage-Gesang von einer hymnischen Größe anschließt, der vielleicht eine Gedenkmusik sein mag aber auch in seinem Duft einer Verschmelzung aus Horn und Oboen wie Steicher- Kantilenen etwas von einer Wald-Idylle offenbart. Darauf folgen verschiedene Tänze die teils charakterisierend sind. Erst eine Rejouissance,
alsdann eine heitere Darstellung des Glockenspiels des Schlosses ( Carrillon), eine Piece de Charactere der Meeresfarben, eine elegante Loure und ein beschwingtes Menuett mit feinem französischen Trio.
Schneider und sein Ensemble treffen den Ton eher gediegen und musikantisch, ohne zu übertreiben. Dabei bleibt ein wenig der Wagemut zurück. Dennoch ist alles klangschön und lebendig gestaltet.
Überraschungen bieten die Streicher-Divertimenti.
Und sehr fein wird die Ironie der Suite tragicomique getroffen. Desgleichen die französische Grandeur der D-Dur Suite mit zwei Traversfloeten mit ihrem polonaisen Schluss mit Jagdhorn.wie die lebhafte Italianita der Sinfonia melodica mit Ihren puppenstubehaften Tanzsätzen, es gibt eine chaconnette, a la francaise. In der Suite in F und dem Divertimento in Es gelingen wunderbare Genre-Bilder einer Jagdgesellschaft mit Ausritt, Tafelgespräch und Country dance. Es schmettern die Jagdhörner, es kehrt Melancholie in eine zärtliche Loure mit samtigem Mittelteil über Pizzicati und es rauscht der Sturm durch den Schlosspark von Kranichstein.
Ehe dann endlich in der g-moll Suite die altfranzösische Seite am stärksten hervorsticht. Wohl eine ältere Komposition, die Telemann wieder hat aufleben lassen. Eine rauschende Passacaille beschließt in dieser Suite dieses höfische Fest.
In leuchtenden Klangfarben. Glücklich der hier mitlauschen und mitfeiern darf.
Wenn Watteau und Boucher in Tönen, statt in Farben musiziert hätten, wäre es nicht farbiger gewesen.
Allen Connaisseurs spätbarocker Musik sei dieser Telemann Schwanengesang wärmstens empfohlen. Den Gang ins Freudenhaus, wie als Remede für den eitlen Gecken oder den König, der sich die Hose verkehrt anzieht, wie in der Suite tragicomique, dürfen sie sich ersparen oder erst nach dem Hören beginnen.
Duftig kräuselnde Flöten, schmetternde Hörner und pastorale Oboen entzücken das Ohr zum schimmernden Sammet der Streicher. Pierrot und Harlekin möchten tanzen und der Mond leuchtet durch eine Waldschatten-Nacht, die sich den Paterres der Gärten mit gezirkelten Beeten anschließt. Chapeau! Noch duftet hier der Garten voller Melodien.
Jean B.de Grammont