Brahms Tage 2023

Baden-Badener Brahms Tage 2023

Wieder im Herbst, genauer vom  13. bis 15. Oktober, fanden heuer die Brahms Tage zu Baden-Baden statt.

Wir erwähnten es schon im Rückblick auf 2021, dass die Musik von Johannes Brahms sich besonders gut im Herbst hören lässt. Natürlich enthält sie Momente, die zu jeder Jahreszeit passen. Aber gerade im Herbst ist diese besondere Melancholie, die Brahms Musik im Besonderen auszeichnet anzutreffen.

Das Festival der Brahmsgesellschaft Baden-Baden in Zusammenarbeit mit SWR2 und dem Festspielhaus kam diesmal in abgespeckter Version daher. So gab es lediglich ein Orchesterkonzert und zwei Kammerkonzerte sowie das beliebte musikalische Quintett einer Expertenrunde verschiedener Musikkritiker.

Erfreulicherweise wurde das Brahmshaus dieser Tage offiziell wiedereröffnet. Zwei renovierte Räume im Erdgeschoss sind seitdem neu zu besichtigen. Hier gibt es in Form neuer Medien eine ansprechende Präsentation der Jahre von Brahms Sommerbesuchen in Lichtenthal, die ja gut zehn Jahre währten und in der Verbindung zu Clara Schumann einen  Grund hatten. Freilich behagten Brahms die Umgebung und die Stadt Baden-Baden sehr.  Es waren bekanntlich fruchtbare Sommer, in denen zahlreiche berühmte Werke des Komponisten komponiert wurden bzw. ihren Abschluss fanden.

Den Auftakt machte diesmal wiederum die Philharmonie Baden-Baden im wunderschönen klassizistischen Weinbrennersaal unter Leitung von Heiko Matthias Förster. Dabei kam eine Rarität zur Aufführung des Brahms Zeitgenossen Max Bruch. Dieser ist ja gemeinhin für sein Violinkonzert in aller Munde. Das ist daneben zum Glück auch andere bedeutende Musik von Bruch gibt verdeutlichte das großangelegte Eröffnungsstück des Abends. Und zwar das Konzert für zwei Klaviere in as-Moll Opus 88a. Einem Zufallsfund ist die Überlieferung dieses Werks zu verdanken.

Der amerikanische Pianist Nathan Twining kaufte ein Konvolut mit nachgelassenen Papieren für wenige Dollar. Das enthielt Max Bruchs Partitur. Ursprünglich komponierte Bruch eine Suite für Orgel und Orchester nach 1904. Daraus entnahm er Elemente dieser Auftragskomposition für die beiden Schwestern Rosa und Ottilie Sutro aus Baltimore. 1916 wurde das Konzert in Philadelphia mit Leopold Stokowski und den Sutro-Schwestern an den Flügeln aufgeführt. Das Werk hat einen ganz eigenen Tonfall, der zwischen Requiem und einem prachtvollen Orchesterkonzert changiert.

Wie gemeißelt erklangen die wuchtigen Akkorde des kraftvollen Andante sostenuto. Mit den Solistinnen Kiveli und Danae Dörken übernahmen zwei ausgezeichnete Pianistinnen den Part der anspruchsvollen und hoch-virtuosen Urfassung des Werks. Diese konnten im kontrastierenden Moment des Andante in einem an Johann Sebastian Bach erinnernden Fugato der Tasteninstrumente ihr Können zeigen. Zunächst in filigranen Linien. Nach einem überleitenden sanften Andante con moto dann in geradezu explodierenden mit dem Orchester im Dialog stehenden funkelnden Feuerwerk wahrer Katarakte an Klavierkaskaden im Allegro molto vivace. Geheimnisvoll schwebte dann das Andante vorüber, dass man mit einem stillen Waldsee inmitten eines großen Gehölzes vergleichen könnte.

Bevor das Finale mit seinen überbordenden Läufen und einem wahren Orchester-Donner einsetzte.

Lange rang Johannes Brahms mit seiner ersten Sinfonie in c-Moll Opus 68. Ganze 14 Jahre komponierte er daran.  Wie bekundete er nicht in einem Brief an seinen Freund Hermann Levi: "ich werde nie eine Symphonie komponieren! Hast keinen Begriff davon wie unser einem zumute ist, wenn er immer so ein Riesen hinter sich marschieren hört!". Mit dem Riesen war freilich kein anderer wie Ludwig van Beethoven gemeint. Dessen neun Symphonien  flössten allen Komponisten nach ihm den höchsten Respekt ein, ja sie schienen ein unüberwindbares Gebirge. Umso größer das Erstaunen, was dann Brahms mit seiner Ersten gelang. Schon die dunkle Eröffnung mit ihrem Orgelpunkt in den Pauken beeindruckt. Und insbesondere die abwechslungsreiche sehr vielfältige Form, die inhaltlich immer wieder auf Beethoven Bezug nimmt. Bekanntlich vollendete Brahms seine erste Symphonie in Lichtenthal. Erst 1876 wurde die Symphonie in Karlsruhe uraufgeführt.

Der Philharmonie Baden-Baden gelang unter Heiko Matthias Förster eine recht ausgewogene Darstellung der ersten Sinfonie von Johannes Brahms. Der pochende erste Satz mit seinen gleißenden satten Akkorden und zarten Bläserfarben, die sich zu großen Klangwellen auftürmen, gelangen bis in  die Details der sehnsüchtigen Horn- und Klarinettenmelodien. Sanfte warme Streicher Kantilenen dann auch im Andante sostenuto in seiner steigenden Bewegung und schwelgerischen Dynamik wurde es lyrisch gestrafft gegeben bis zu den Einwürfen der Solo-Violine und der Solo-Klarinette. Mit tänzerischer Grazie und rhythmischer Grandezza samt seinen luftigen Holzbläser-Tupfern zog das  Un poco Allegretto e grazioso vorüber. Dunkel und  pathetisch hob das Finale an und all das was ein besonderen Reiz ausmacht wurde trefflich ausgeformt, so der choralartige Abschnitt, so der Alphorn-und Posaunen-Ruf. Bis in die triumphale Geste der Schluss-Akkorde hinein bekamen wir am Ort des letzten Notats der Partitur einen echten Brahms zu hören, der wohl auch dem Meister gefallen hätte.

Gar wienerisch behaglich und vor allem tänzerisch zunächst wurde es im Klavierrezital von Matthias Kirschnereit ebenfalls im Weinbrennersaal am Samstagabend. Vor allem moderierte Matthias Kirschnereit gekonnt sein Programm. Eine gelungene Mischung aus mostly Brahms, Carl Philipp Emanuel Bach und Anton Bruckner. Mit  des großen Kritikers und Brahms Apologeten Eduard Hanslicks Worten wurde das Wienerische der Klavierwalzer von Johannes Brahms bestens charakterisiert. Und so erklangen die 16 Walzer Opus 39 dann auch mit Charme und Schwung. Wieder nach Norddeutschland ging es mit der Fantasie Es-Dur Wtg 58 Nr. 6 von Carl Philipp Emanuel Bach. Sehr frei modulierend ist das ein fantastisches Stück, das Beethoven gekannt haben mag. Da Brahms ein großes Interesse an der Musik seiner Vorgänger hatte, war ihm  Carl Philipp Emanuel Bach sicher ebenfalls geläufig. Kirschnereit brachte gekonnt auch eine der raren Klavierpiecen Anton Bruckners zu Gehör. Das leicht orchestral angelegte Stück mit dem nostalgischen Titel Erinnerung. Das Scherzo es-Moll Op. 4 von Brahms sorgte ja noch einmal für beweglichen Schwung und ein gewisses gespenstisches ungestümes Element, frei nach ETA Hoffmanns Kapellmeister Kreisler.

Zuletzt belegte die dritte der frühen großangelegten Klavier-Sonaten in f-Moll vom jungen Brahms, dass diese beinahe verschleierte Sinfonien, wie Robert Schumann meinte, sind.

Beeindruckend war zu hören wie Kirschenereit die prächtigen Sätze in ihrer Vielfalt und Gedankentiefe ausformte.

Einen abschließenden Höhepunkt der Brahmstage 2023 bescherte die Matinee im Festspielhaus mit dem Brodsky Trio, benannt nach dem großen Geiger Adolph Brodsky. Denn der Geiger Kirill Troussov spielt die Stradivari Violine von Brodsky. Ein überaus prominentes Instrument, denn Brodsky führte mit genau dieser Geige das große Violinkonzert Tschaikowskys  erstmals auf.

Und nicht weniger glanzvoll spielte die Pianistin Alexandra Troussova auf den Tasten und Cellist Benedikt Kloeckner auf den Saiten.

Als Hommage an Johannes Brahms erklang dessen frühes und zugleich, weil es später vom Komponisten überarbeitet wurde letztes Klaviertrio in H-Dur Opus 8.

Die lyrische Eröffnung in Sexten Parallelen leuchtete wie das Herbstlaub an der Lichtenthaler Allee.

Ein beglückender Gesang, das Trio agierte mit schönstem Klangschmelz und feinster Phrasierung. Das Scherzo huschte vorüber, wie ein Spuk ersonnen von Kapellmeister Kreisler voll mit rhythmischer Energie und zupackender Dynamik. Mit Leidenschaft und duftigen musikantischen Feuer bis ins Pizzicato hinein im Trio.

Im langsamen Satz entspannt sich ein träumerischer Dialog zwischen den Streichern und dem Klavier voller feinnuancierter Klangfarben. Voller Melancholie und mit viel Ausdruck wurde hier Brahms gespielt. Endlich beglückte das Finale mit einem von Franz Schubert ent- lehnten Thema in liedhafter Rondo-Form voll an wirbelnden Passagen und Läufen. So dass es eine Freude war.

Ein ganz besonderer Markstein der Kammermusik ist allerdings Peter Tschaikowskys einziges Klaviertrio, mit welchem seinerzeit das Moskauer Konservatorium eröffnet wurde. Es gibt eine umfangreiche Korrespondenz darüber mit seiner Förderin Nadeschda von Meck. Es ist ein Werk voller Raffinesse und von höchster kammermusikalischer Kunst.

Die Eröffnung mit einer elegischen Cellokantilene sucht ihresgleichen. Exzellent wurde dies ausgeformt und mit den Klavier-Akkorden intensiviert. Somit erklangen schönste Herbstfarben mit melancholischer Seele.

Ein wahres Bijou ist der umfangreiche Variationensatz.

Hier in Vollendung gegeben. Ein Füllhorn an impulsiver Intensität zunächst vom Klavier vorgetragen und dem liedhaften Thema und in höchst raffinierte Formen gegossen. Gelassen tänzerisch schillernd, ja wunderbar vielfarbig wurde das sehr musikantisch im besten Sinne bis in den letzten Akkord vorgetragen, bis das eröffnende Thema den Reigen abschloss.

Eine Czardas Zugabe lies zuletzt noch einmal aufhorchen. Eine Reminiszenz an Brahms ungarische Tänze. Es gelang eine Alliance auf künstlerischer Ebene zwischen Brahms und Tschaikowsky.

Wir freuen uns auf weitere Begegnungen dieser Art und wünschen den nächsten Brahms Tagen in zwei Jahren ein solches Gelingen.

Jean B.de Grammont

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