Der Pianist Grigory Sokolov zählt sicher zu den großen seines Fachs. Im Spätherbst kommt er seit Jahren gerne ins Festspielhaus von Baden-Baden. Ansonsten ist er auf den Podien der großen Festivals wie Salzburg und anderswo zu finden.
Freilich ist das die russische Schule des Klavier-Spiels.
So sind Dramatik und jegliche Affekte bei Barock-Meistern und solchen der Wiener Klassik verpönt.
Und so klingt das dann auch. Technisch perfekt, kristallklar, poetisch, subtil, aber vielleicht auch ein wenig langweilig. Ein klassisches Programm. Erst Johann Sebastian Bach, dann Wolfgang Amadeus Mozart. Musik für den Elfenbein-Turm der Klavier-Tasten. Bach metaphysisch, statt rhetorisch. Zunächst 4 Duette Bachs BWV 802-805 in strengen zweistimmigen polyphonen Linien. Ob nun In den Duos in Moll, oder in Dur. Die Läufe glitzerten, die Linien-Führung war klar und homogen. Der Dialog der Melodien entzückte durchaus, alles klang entrückt wie aus einer anderen Welt. Führte der schwarze Steinway-Flügel gar einen Dialog mit dem duftigen wunderschönen Blumenstrauß in einer schwarzen Schloss-Vase auf der rechten Seite?
In Johann Sebastian Bachs Partita c Moll BWV 826 war das nicht anders. Bereits der erste Bach Biograf Nikolaus Forkel rühmte die Delikatesse der Bach'schen Werke für den Flügel. Die Sinfonia mit ihren kraftvollen Akkorden, die zierliche kontrapunktische Allemande, die springende Courante, die gravitaetisch schreitende Sarabande, das courtoise Rondeau und das gigenhaft
hüpfende Capriccio gelangen Sokolov souverän. In der Tongebung durchaus filigran gehalten. So das eine klangliche Nähe zum Cembalo halbwegs entstand.
Vielleicht war der Interpretationsansatz insgesamt etwas unterkühlt. Etwas zu distinguiert, ähnlich wie das Cembalo Spiel eines Gustav Leonhardt.
Etwas aufgelockerter klang darauf Mozart, dessen frühe Wiener Sonate Nr. 13 KV 333 für das Hammer- Klavier. Erst duftig und sanglich der eingehende Sonaten- Hauptsatz, ein wunderbar poetisch erblühendes Andante. Und ein graziös tänzelndes Rondo Finale.
Aber alles ein wenig so, als ob Mozart gar keine Opern komponiert hätte. Es fehlte das Feuer, das Temperament.
Eine der großen Sätze der Klavier- Literatur ist das späte Adagio h-Moll Mozarts.Ein melancholischer Satz voll an ruhigem Pathos. Das gelang vollkommen und Sokolov zeigte sich hier von seiner besten Seite, seelenvoll alle Wiederholungen einbauend.
Fast zu einem eigenen Konzert gerieten Sokolov die zahlreichen großzügig gewährten Zugaben. Und die gefielen uns fast besser, wie das eigentliche Konzert.
Beim Piece de caractere des großen französischen Barock-Meisters Les Sauvages aus dessen Opernballett "les Indes galantes" wurde Sokolov gar temperamentvoll. Desgleichen zauberte er den Rokoko-Salon in einem weiteren Rondeau Rameaus herbei.
Kraftvoll gelang ein Prelude Rachmaninows, verträumt melancholisch das Regentropfen-Prelude Chopins wie eine Mazurka desselben. Und das Konzert im Konzert bekam Farbe, wie der Blumenstrauß neben dem schwarzen Flügel.
Jean B. de Grammont
Fotocredit: Manolo Press Michael Bode