Einen fulminanten musikdramatischen Auftakt zu den Osterfestspielen 2024 in Baden-Baden setzte diesmal Richard Strauss Tragödie in einem Aufzug Elektra im Festspielhaus. Wir besuchten die Darbietung am 26 März.
Uraufgeführt wurde Strauss Oper einst 1909 im königlichen Opernhaus Dresden, diese Musik war damals hochmodern. Elektras ekstatischer dionysischer Rausch der Rache, gesetzt für dramatischen Sopran, an ihrer Mutter Königin Klytämnestra mitsamt deren Geliebten Aegisth, die ihren Vater König Agamemnon mordeten, vollzogen durch den totgeglaubten Bruder Orest, bietet hochdramatische musikalische Bilder die Menge zu dieser antiken Familien-Tragödie.
Ein monolithischer Block ist diese Oper, deren Partitur zudem sehr viel Feinzeichnung und Charakterisierungs-Kunst enthält. Das Libretto von Hugo von Hofmannsthal geht zurück auf dessen Theaterstück Elektra, das bereits 1903 in der Regie Max Reinhardts zur Uraufführung gelangte. Hofmannsthal fand in dieser Nachdichtung der Tragödie des Sophokles zu seinem neuen dramatischen Theaterstil. Und es ergab sich eine ausgesprochen fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Komponisten Richard Strauss, der freilich für seine Opernfassung des Stoffes stark kürzend in den Text eingriff.
Auch nach über 100 Jahren klingt Richard Strauss Musik unerhört und durchaus modern, ja staubfrei.
Dass vor allem dank des gerade in der riesigen Besetzung, vorrangig in den Blech- und Holzbläsern, so ungemein dramatisch und frisch aufspielenden Orchesters der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko. Nur manchmal sah man dessen Taktstock aus dem Orchestergraben aufblitzen. Und von dem Orchester hörte man nur diesen ungemeinen Klangrausch, es blieb völlig im tiefen Orchestergraben verborgen. Fulminant setzte es ein, mit dem eröffnenden Agamemnon Akkord.
Wie auch der Prager Philharmonische Chor hinter der Bühne versteckt in den Schlussszenen klangmächtig agierte.
Nina Stemme in der Hauptrolle der Elektra fauchte mit Inbrunst und Ekstase ihre höchst anspruchsvolle Partie bis zu den Worten "dann tanzen wir dein Blut, rings um dein Grab". Das obendrein zu einer walzerartigen Musik. Nicht weniger trefflich Michaela Schusters Mezzosopran in der Rolle der Klytämnestra mit ihren psychologisch tiefsinnigen Gesangslinien. Ferner überzeugte Elza van den Heever als Elektras vergleichsweise harmlose Schwester, mit auf ein besseres Leben hoffenden Kantilenen.
Ihnen zur Seite, als Hofstaat gewissermaßen, die fünf Mägde und die Aufseherin, die Diener und die Schleppträgerin und eine Vertraute, allesamt trefflich besetzt. Jochen Reuters dunkler Bass in der Partie des Orest überzeugte ebenso wie die Bass-Stimme Anthony Robin Schneiders, seines Pflegers. Auch Wolfgang Ablinger-Sperrhacke machte mit seinem schlanken Tenor als Aegisth eine gute Figur.
Etwas fragwürdig allerdings Regie, Bühne und Licht Philipp Stölzls und Philipp M. Krenns. Sie verlegten die Handlung auf eine Bühne, die sich gleich einem Treppenwitz aus projizierten Worten von Hofmannsthals Dichtung zu grauem Beton, die sich bald als Treppe aufklappte oder in enge Zwischenräume, die wohl gleichsam die Gefangenheit in ihrer Rolle spiegelnden Charaktere darstellen sollten, aufbaute. Durch dieses agieren auf verschiedenen Ebenen wurde die Kommunikation der dramatis personae beeinträchtigt.
Hier fehlte die Logik in der Regie. Zumindest wurde durch diese Text Projektion deutlich wie nahe Richard Strauss als Komponist an dem Text der Dichtung komponiert hat. Und das Auditorium wird jetzt mitunter Hofmannsthals Dichtung besser verstehen. Wer noch von Hugo von Hofmannsthal in der Schule erfahren hat durfte sich glücklich schätzen. Jüngere Besucher werden davon sicher nichts mehr auf dem Gymnasium erfahren. Deutschunterricht literarischer Prägung ist genauso wie der Musikunterricht aktuell nicht mehr gefragt, denn musische Fächer bringen ja keinen Erfolg im richtigen Leben. Insofern hat doch Philipp Stölzl pädagogisches Talent. Vielleicht sollte er besser Lehrer werden? Allerdings waren selbst die Zitate nicht logisch aufgestrahlt. Freunde neuer Medien kamen vielleicht auf ihre Kosten. Gelungener dann schon das Textmarking in Rot und Violett der Bühnenbeleuchtung entsprechend der rächenden Gewalt. Passend waren jedenfalls die schwarzen schlichten Kostüme Kathi Maurers, vom schwarzen Kleid Elektras hob sich ihre rotorange Perücke ab, die sie allerdings mitunter festhalten musste, was unfreiwillig komisch wirkte. Orest mit Bein-Prothese und sein Pfleger steckten in Uniformen des ersten Weltkrieges ähnelnder Kleidung, eine Nähe zu der fünf Jahre nach der Uraufführung der Oper einsetzenden Katastrophe wurde aufgezeigt. Mich erinnerte das Gespann an Skizzen und Bilder von Otto Dix. Insgesamt war aber Strauss Elektra in Baden-Baden sicher eine sehens- und hörenswerte Operndarbietung voller Spannung. Musikalisch geht das nicht besser.
Jean B. de Grammont
Fotocredit:
Festspielhaus Baden Baden Monika Rittershaus