Die Glasmenagerie von T. Williams in einem Ballett von J.Neumeier


Fotocredit Kiran West Festspielhaus BBDie literarische Vorlage von Tennessee Williams Theaterstück „Die Glasmenagerie“ nahm John Neumeier zum Anlass Szenen eines Balletts zu entwerfen inklusive Bühnenbild, Licht und Kostüme . Diese Inszenierung des Hamburg Ballett von 2019 kam nun ins Festspielhaus Baden-Baden und schloss das Tanzfestival 2024 ab.
Musikalisch begleitete die Philharmonie Baden-Baden unter Leitung von Gastdirigent Luciano di Martino. Musik von Charles Ives, diesem klugen Komponisten, der eine Versicherungs-Gesellschaft gründete und damit gut lebte, wie vom hochbetagten Meister der Minimal Music Philip Glass erklang. Dies ungewohnte Repertoire brachte die Philharmonie nicht brillant, aber ganz passabel zum Klingen. Soweit ich das beurteilen kann, denn meine verwöhnten Ohren lauschen am liebsten der Musique aus den Zeiten des Ancien Regime. Zudem wurden die Stücke, teils Songs der 1920iger und 1930iger, teils vom kürzlich verstorbenen Filmkomponisten Ned Rorem von einem Victrola Retro Plattenspieler abgespielt, was für einen nostalgischen Touch sorgte. Dann spielte adäquat letztereren Komponisten das Quintett „Bright Music“ in der Besetzung von Flöte, Violine, Violoncello und Klavier und gab den getanzten Szenen eine musikalische Folie.
Tennessee Williams Theaterstück ist sehr autobiografisch geprägt und ihm liegt eine simple Story zu Grunde. Eine amerikanische kleinbürgerliche Familie steht im Vordergrund, die verlassene Mutter Amanda samt ihrer gebrechlichen Tochter Laura Rose, die Tiere aus Glas sammelt, was eben dem Stück seinen Titel Glasmenagerie verleiht. Und ihr Sohn Tom, der künstlerische Ambitionen hat, aber seinen Lebensunterhalt in einer Schuhfabrik fristen muss. Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume kommen auf in der kleinen Wohnung der Fanilie Wingfield in St. Louis. Ein Verehrer der Tochter soll endlich das Glück in die Tristesse des Alltags bringen. Das klingt wie ein Märchen vom american Dream, dem Pursuit of Happyness. (Mein verstorbener reicher amerikanischer Onkel machte es anders, er heiratete in San Francisco eine reiche Unternehmerstochter. Das sei hier ausnahmsweise eingeflochten.)
Auf dieser oben genannten Story basieren die Szenen der Choreografie, diese ist im Gegensatz zur Story alles andere als easy, sondern kompliziert und facettenreich. Sie lebt vom Zusammenspiel aus Tanz, Licht und sich überschneidenden Bildern, die teils projeziert werden und den passenden musikalischen Nummern. Am Beginn der Szenerie findet sich Tennessee auf einem Schiff, ist inzwischen ein erfolgreicher Maler und erinnert sich zurück an seine Wohnung in Saarlouis und seine damalige Familie. Entsprechend wird das einfache Interieur der Wohnung, angedeutet mit gemusterter Tapete einem Tisch und ein paar Stühlen, auf der Bühne tänzerisch bespielt. Der Dichter Tenessee gegeben von Edvin Revazov steht immer anbei und tanzt nur wenig wie ein Chronist oder ein Rezitator kommt seiner Person eine eher statische Rolle zu. Der Mutter Amanda sind weit kapriziösere Rollen gegeben. Dank Anna Laudere werden diese entsprechend gelenkig und grazil gegeben. Und Blumensträuße werden gleich reihenweise an Amanda verschenkt von eleganten Herren mit Seidenweste in blaugrauen Cuts samt Hut und schmalen Binder zum Hemd mit Stehkragen als wäre es eine Hommage an Karl Lagerfeld. Hier ergeben sich reizvolle Gruppierungen und Momente voller tänzerischer Extravaganz. Selbst das nüchterne Arbeitsleben in der Continental Schuhfabrik erscheint in der tänzerischen Darbietung reizvoll. Wie kann man nur so Kartons stapeln? Ein Tanz auf das Arbeits-Ethos der USA der Twenties scheint es fast, vom Schuhmacher zum Millionär, der American dream, freilich mit Frust besetzt, es ist für Tom nichts als ein notwendiges existenzielles Übel. Ähnliche Gruppierungen gelingen in der Schreibmaschinen-Schule des Rubican‘s Business College, dass Tochter Laura Rose zu besuchen genötigt ist.
An den Schreibmaschinen tanzen nun nicht allein die Finger.
Bei der Szene im Kino beginnt die Kunst der Überschneidung von Bühnenszene und eingeblendeter Leinwand. Reizvolle Momente entstehen ebenso in den Bar-Szenen in der Malvolio‘s Magic Bar, ein Nachtleben auf amerikanische Art der twenties und thirtees, das weit um Baden-Baden in dieser Form kaum anzutreffen ist. Karl Lagerfeld hätte gesagt
„Tom, er war kein Kind von Traurigkeit“ Auch nicht in der Bar des Öschberghofs und nicht einmal im Bernstein im Casino. Kein Wunder dass Tom völlig zugedröhnt in die kleine Wohnung mit gemusterten Tapeten zurück kommt. Recht sportliche Szenarien ergeben sich zu Jim als Baskettball-Idol, getanztes Basketball, dass nahelegt, dass selbst Sport seine ästhetische Seite haben kann. Endlich wird es wieder romantisch in den heimeligen vier Wänden, wenn der ersehnte Verehrer endlich eintrifft und innig poetisch wenn Laura Rose ihren gestisch tänzerischen Dialog mit den Objekten ihrer Glasmenagerie führt, insbesondere mit dem von ihr geliebten Einhorn aus Glas. Die Lichtregie ist hier besonders poetisch und ein versilberter Kerzenleuchter unterstreicht diese traumverlorene Szene. Das Chaos bricht mit Blitz und Donner herein. Es zuckt und blitzt zum entsprechenden Stück von Charles Ives, hier in einer Zuspielung durch das Ensemble Modern.
Letztlich war das ganze Festspielhaus durch so viel Tanz, Licht und bewegte Bilder wie aufgeladen und es gab noch einmal Standing Ovations für die Memoiren eines Tenessee Williams umgesetzt durch John Neumeier und sein Hamburg Ballett.
Jean B. de Grammont