Anno 1952 wurden die Überlinger Musiktage gegründet. Das ist schon eine Weile her und zwischenzeitlich gab es dieses Festival nicht mehr.
Jetzt diesen Spätherbst um Mitte November erfuhr das kleine Festival hauptsächlich regionaler Akteure aus dem Bodensee-Raum sein überfälliges Revival. Sehr erfreulich in Zeiten knapper Kassen in Sachen Kultur.
Das Besondere daran ist, in Überlingen wird der Versuch gemacht Alte, teils sogar ganz alte und Neue zeitgenössische Musik in einem Programm zu vereinen. Es gab zwei Uraufführungen. Das ist ein spannender Ansatz, der gelingen kann wie hier zu sehen.
Zudem bietet die einstige Freie Reichsstadt Überlingen wunderbare historische Räume und Kirchen, die bespielt sein wollen.
Da gibt es einmal den kleinen Barocksaal über zwei Etagen mit quellendem Wessobrunner Akhantus-Stuckkierungen im einstigen Renaissance Patrizierhaus mit frühen Rustica Quadern des italienischen Renascimento, dank derer Reichlin von Meldegg erbaut. Worin heute das städtische Museum sich befindet. Zudem sind u.a. Spielorte die städtische Galerie im Faulen Pelz am See, ein heller festlicher Raum des 19. Jahrhunderts. Und das spätgotische Münster mit seinem berühmten manieristischen, ja frühbarocken holzsichtigen Hochaltar der Brüder Zürn aus dem frühen 17. Jahrhundert. Wie zuletzt die gotische Franziskaner Kirche mit prächtiger Rokoko-Innenausstattung. Auch die örtlichen sehr ambitionierten Kantoreien tragen dazu ungemein bei. Es gab einen Orgelabend mit Kirchenmusikdirektor Thomas Rink mit bedeutenden Komponisten des 17. Jahrhunderts in der schlichten neueren Evangelischen Auferstehungskirche. Und das Ensemble BlanscheFlur begab sich gar mit Fidel, Flöte, Portativ und Gesang in der Franziskanerkirche auf die Spuren Hildegard von Bingen ins Hochmittelalter. Wie vieles Anderes mehr. Freilich war es uns nur möglich, einen kurzen Ausschnitt der gebotenen Konzerte persönlich zu besuchen. Wir konzentrierten uns auf das letzte Wochenende des kleinen Festivals.
Am Freitag Abend gab es eine Mischung aus Chor und Orgel Musik im Münster mit der Kantorin der katholischen Kirchengemeinde Melanie Jäger-Waldau an den Orgeln und dem dortigen Vokalensemble. Die barocke Chororgel wurde erst renoviert und mit neuen Registern im historischen Klangformat versehen. Entsprechend raffiniert erklang die Toccatta e-Moll Johann Pachelbels, dieses bedeutenden Nürnberger Organisten und Komponisten des späten 17. Jahrhunderts, der weit mehr Bedeutendes geschrieben hat wie den Ohrwurm Kanon und Gigue. Die kontrapunktische Delikatesse modulierte Melanie Jäger-Waldau trefflich hervor. Schwebende Akkorde erklangen in Johann Jakob Frobergers
Toccata VI. Hier kamen die historischen Register in feinen Akkorden voll zur Geltung. Der kaiserliche Hof-Cembalist und Organist zu Wien war eben ein kühner Compositeur. Aber zuvor stand er in Diensten des Herzogs von Württemberg, wohin er am Ende seines Lebens wieder zurück kehrte. Allerdings an den Hof zu Montbeliard in der Württembergischen Enklave in der Franche-Comte. Froberger, der sich einst in einem Wettstreit in Dresden mit dem Norddeutschen Meister Matthias Weckmann auf dem Cembalo mass.
Das Vokalensemble begab sich mit einem Chorsatz von Christian Lahusen in regionale Gefilde Lahusen war in Salem als Musik Lehrer und auch in Überlingen als Komponist tätig bis 1975 lebte er und hinterließ Bemerkenswertes in einem spätromantischen Stil.“ Die Schönste von allen“ ein Lied der Marienfrömmigkeit erklang eingängig und fromm. Melanie Jäger Waldau improvisierte darauf im Stil des Barock an der kleinen Barockorgel über Lahusens Weise.
Nun wechselte die Kantorin an die große moderne Orgel auf die Empore, um Bachs berühmtestes Orgelwerk aufzuführen. Die Toccata und Fuge d-Moll. Gelegentlich kamen Zweifel auf, dass dieses Werk vom jungen Bach stammt, das ist teils berechtigt, aber wer sollte es sonst können? Melanie Jäger-Waldau gab die Architektur des
JSB, des vielleicht größten Orgelmeisters aller Zeiten, mit ihren großartigen weiträumigen Gebilden und polyphonen Strukturen klangprächtig wie mit Feinsinn für Details.
Wieder ein romantisches Chorlied Lahusens nach Versen Eichendorffs schloss sich an. „Komm, Trost der Welt“ eine Hymne auf die Nacht vom Vokalensemble vor dem Lettner vorgetragen.
Toccaten mit viel Drive und vollem Sound von John Rutter und Percy Fletscher rahmten eine weitere Weise von Lahusen, den Abendsegen des Dichters Rudolf Alexander Schröder und gaben dem Konzert einen klangvollen Kehraus.
Zu einem Vortrag ganz eigener Art wechselten alle Melomanen in den Barocksaal des Reichlin-Meldegg Patrizierhauses. Andreas Kruse Bachexperte und Psychologe ist zugleich Sprecher und Musiker. Kruse führte auf unvergleichliche Weise ein in die Welt des Johann Sebastian Bach. Reflektierte über unser Leben und die Musik. Gab selbst auf dem Flügel zwischen seinen heiter, ja nachdenklichen Worten musikalische Kostproben aus Suiten Bachs, aus der Mathhäuspassion. Oder etwa das Italienische Konzert aus der Klavierübung. Es gelang als Beispiel echter Lebensfreude und als Muster gelungener Übertragung eines Violin Konzerts in
Ritornell-Form und in drei Sätzen in der Art eines Antonio Vivaldi oder Tomaso Albinoni auf Tasten. Wenngleich es hier ein Originalwerk für das Cembalo ist. Bach übertrug aber desgleichen Werke von Freunden wie Telemann und Zeitgenossen wie Walter und Vivaldi auf Cembalo und Orgel.
Und natürlich kam auch die Fugenkunst des Wohltemperierten Klaviers nicht zu knapp. Die Fuge ist wie das Leben, so Kruse, sie entwickelt sich aus einem Thema zu einem komplexen Gebilde. Wird eingeflochten in Kontrapunkte und das Thema entsprechend verändert, so wie das Leben sich ändert und wechselt.
Fuga heißt eigentlich auch Flucht. Für manche, denen nichts anderes übrig bleibt als in die Armut zu fliehen, nämlich den Kunden der Tafel spendierte Andreas Kruse großherzig so ein kleines Honorar. Dieser Vortrag war eine echte Bereicherung, selbst für Bachkenner.
Am Sonntagmorgen am gleichen Ort, dem barocken Festsaal, von der Morgensonne wunderschön ausgeleuchtet gab das Ensemble Instrumenti e canti seine Matinee mit musikalischen Gedanken über die Zeit. Der 1977 verstorbene Leipziger Kantor und Schüler u.a. Karl Straubes und Günter Ramins, nämlich Johannes Weyrauch vertonte diesen großartigen Text des Barockpoeten Angelus Silesius in fast altmeisterlicher Manier als Duett begleitet von Flöte und Violine zusammen mit Basso Continuo.
Magdalena Stoll gab daraufhin die Arie Johann Sebastian Bachs für Alt Oboe d‘amore und General Bass aus der Kantate BWV 100 mit warmem Timbre, von Gisela Feifel-Vischi auf der Oboe und Regina Heinz auf dem Cembalo begleitet. Als heitere Preziose des Rokoko erklang daraufhin Johann Christian Bachs Quintett D-Dur für Flöte, Oboe und Violine, hier Fagott statt Cello und konzertierendes Cembalo. Burkhard Fladt auf der Geige und Klaus Martin Heinz auf dem Fagott gaben ihre Partien ganz kantabel. Wozu Claudia Neckenig auf der Flöte und oben genannte Oboistin dem Londoner Bach alle Ehre machten. Auch Regina Heinz ließ die Cembalo-Kaskaden dazwischen glitzern. Eine Heitere wohlklingende sangliche Musik unbeschwerten Rokokos. Wen wundert es das Johann Christian Bach Mozarts Freund und Vorbild war. Siglinde Seiffert Sopran
sang aus Händels wunderbaren Deutschen Arien, nach Worten des Hamburger Barockpoeten Barthold Hinrich Brockes, das Gedicht „Süße Stille, sanfte Quelle“ mit sanftem italienischen Melos anmutig von kräuselnder Flöte begleitet und vom Continuo grundiert.
Das g-Moll Trio von Christoph Schaffrath,einem Komponisten der Hofkapelle Friedrichs des Großen von Preußen, für Violine, Oboe und General-Bass schloss sich ausdrucksvoll vorgetragen an. Sieglinde Seifert sang darauf ein Lied von Albert Roussel, einem französischen Impressionisten auf ein Gedicht den Gesang der Nachtigall beschreibend mit feinzierlichen Linien. Zum Beschluss erklangen noch einmal Johannes Weyrauchs „Zeit ist wie Ewigkeit“.
Über das Konzert in der städtischen Galerie Fauler Pelz mit der Uraufführung der Carman Variationen von Frederic Bolli gibt es einen extra Beitrag auf dieser Website zu lesen.
Zum Abschluss dieses kleinen Überlinger Festivals, das Alte und Neue Musik vereint, gab es noch einmal barocke Concerti u.a. aus António Vivaldis bahnbrechender Sammlung L’Estro Armonico in der Franziskaner Kirche mit ihrer fröhlichen Rokoko-Ausstattung.
Wir hoffen auf eine Fortsetzung des Festivals.
Jean B.de Grammont