Telemanns französischer Kantaten-Jahrgang Vol.1 und Vol.2
Was geht über das Lauschen barocker Kirchenmusik?
Besonders dann wenn es sich um Kantaten J.S.Bachs und G.Ph.Telemanns handelt.
Ich hatte das besondere Vergnügen das erste Album von der Weltpremiere von Telemanns sogenannten französischen Jahrgang an einem passenden Ort zu hören. Im großen Salon eines Schlosses an der oberen Loire nahe bei Nevers.
Der Kamin aus rotem Marmor flackert, ein großer Spiegel mit vergoldeten Rahmen spiegelt das Licht der Kerzen. Das Holz duftet und ein taninreicher Rotwein, leider aus Bordeaux, irgendwo muss ich ja sparen, mundet. Draußen zieht Regen über das Land. Da erklngt der Choral Jesu meine Freude, die Musik schwebt zur hohen stuckierten Decke, in einer Arie pocht die Zeit in tackenden Figuren in den Streichern. Und alles scheint in Ewigkeit aufgehoben.
Französische Ouvertüren wallen gravitätisch und motettische Chöre flehen pathetisch zu Gott, als wäre ich zu Versailles in der SchloßKirche bei Grand-Motets von Campra, Lully oder Delalande. Feinstimmige Fugen, elegante Duette und Arien, wortmächtige Rezitative von rhetorischer Qualität wie sie nur ein Dichter-Komponist wie Telemann schreiben konnte. Alles aber in deutscher Sprache.
Der Musikstil bedient sich bei diesem Jahrgang des gout francais und vermengt diesen mit italienischem Gusto.
Telemann war frankophil, das war im 18ieme en vogue. Bei ihm aber war es mehr als eine Modeerscheinung.
Je suis un grand partisan de la musique francaise je l'avoue, schrieb er. Bereits als Kapellmeister beim Reichsgrafen Erdmann von Promnitz zu Pless und Sorau studierte der junge Telemann eifrig die Musik Jean Baptiste Lullys und inspirierte sich für seine Instrumentalmusik. In Eisenach beim Herzog von Sachsen Coburg Eisenach komponierte Telemann seinen ersten vollständigen Kantatenjahrgang "Das geistliche Singen und Spielen" für das Kirchenjahr 1710/11, überwiegend im italienisch deutschen Stil.
Erst als Musikdirektor zu Frankfurt a.M. schrieb Telemann den sogenannten französischen Jahrgang für das Kirchenjahr 1714/15.
Raffiniert ist schon in Folge 1 die Instrumentierung, typisch Telemann, es gibt Arien mit vier flauti dolci und mit drei Fagotten als Begleitung.
Nun ist Vol 2 auf CD erschienen.
Es dirigiert wieder Felix Koch mit großer Sachkenntnis, Stilvermögen und Sinn für exquisite Details. Es spielt das Neumeyer Consort auf historischen Instrumenten bzw. Nachbauen mit Akkuratesse, warmem Klang und pulsierenden Affekten. Es singt der Kammerchor der Gutenberg Soloists.
Unter den Gesangs-Solisten sind erfahrene Meister ihres Fachs, Worunter mit Gotthold Schwarz sogar ein leibhaftiger Thomaskantor vertreten ist, der allerdings nicht mehr im Amt ist. Überhaupt war Bach beeindruckt von Telemanns Musik. Telemann war sein Freund und Taufpate. Bach kannte offenbar Telemanns frühe Jahrgänge und inspirierte sich daran, was zu hören ist. Ferner gesellen sich dazu Hans-Jörg Mammel Tenor, eine bekannte Größe Mit Liselotte Fink Alt, Sabine Goetz Sopran, Fabian Kelly Tenor und Hans Christoph Begemann Bass, nicht zu vergessen Luca Segger Altus gesellen sich jüngere Stimmen hinzu, die bestens zum Repertoire passen.
Gleich in der ersten Kantate "Wer nur den lieben Gott lässt walten" kommen in tänzerischen Arien mit Rohrblatt-Trio, nämlich zwei Oboen und Fagott die französischen Stilmittel zum tragen.
Exzellent harmonisierte Choräle, Rezitative teils mit Arioso und ein schwebendes Terzett en rondeau wie aus einer tragedie lyrique mit folgender dicht gearbeiteter, aber eleganter, Fuge machen daraus ein Bijou, das überzeugend von den Interpreten geschliffen wird.
In dem Kirchenstück" Unschuld und ein rein Gewissen kommt im Chor: "Befiel dem Herrn Deine Wege" das französische Idiom in enharmonischen polyphonen Rückungen zum Tragen, die dem Zeitgenossen Jean Philippe Rameau alle Ehre machen.
Besonders beeindrucken drei Kantaten auf Ostern. Die erste "Christ ist erstanden" beginnt mit einer rauschenden Ouvertüre a la francaise in die ein archaischer Choral eingebaut ist, darauf folgt ein geschwindes Fugato. An solchen Stücken dürfte sich Bach inspiriert haben. Man denke an die Adventskantaten" Nun komm der Heiden Heiland" von ihm. Von weiteren Delikatessen gar nicht zu reden. Wie etwa freudig tänzerische Arien. Hier scheinen Engel selbst zu tanzen und zu lächeln.
Eine sehr trostvolle Musik.
In der zweiten Osterkantate besticht eine Echo-Arie und das courtoise Schluß-Rondeau mit Soli-Chor und Orchester.
Besonders ergreifend sind ein Chor und die Schluss-Szene in der Kantate auf den dritten Osterfeiertag. "Jesus Christus unser Heiland". Erst der Chor mit mehreren Abschnitten und chromatischen Rückungen und polyphoner Dichte. und dann die Arie für Bass und Chor "Bringt mich immer zu der Ruh" Fast klingt diese Musik wie Johannes Brahms mit ihrem elegischen Pathos, man ahnt das deutsche Requiem oder, das Paradox sei erlaubt, eine orthodoxe Kirchenmusik von Sergej Rachmaninov ins Lutherische gewendet.
Ein Kantaten Schluss von nachgerade überirdischer Schönheit.
Sehr festlich ist die grossangelegte Kantate mit Trompeten und Pauken "Wertes Zion sei getrost". Beginnend mit einem Duett, das eher an Arcangelo Corelli gemahnt und einem jubelnden Schluß Halleluja in Rondeau Form vereint sie französischen und italienischen Geist. Eine große dramatische Chorszene ist wie aus einer Lully Oper genommen.
Spannungsvolle Dissonanzen bringt der Eingangschor zu " Wir liegen großer Gott vor Dir" wie anderes mehr.
Und die beiden Varianten von "Ich weiß, daß mein Erlöser lebt" sind ebenfalls voller musikalischer Kostbarkeiten, die an die Arie aus Händels Messias denken lassen. I know that my redeemer liveth".
Kurzum beide folgen der Doppel-CDs sei allen Fans barocker Kirchenmusik wärmstens empfohlen. Wir dürfen uns auf eine entsprechende Fortsetzung freuen, bis endlich alle 71 Kirchenstücke des Jahrgangs eingespielt sind. Weitere Besprechungen folgen.
Jean B. de Grammont