Fotocredit Festspielhaus BB Andrea Kremper
Das war einmal ein Konzert ganz nach meinem erlesenen Geschmack für das Dixhuitieme.
Eher selten hört man Glucks große Opern heute, abgesehen vom L‘Orfeo. Gluck, das ist Musik für Connaisseure. Erfreulich wird es besonders, wenn Gluck mit den Stilmitteln des 18. Jahrhunderts aufgeführt wird. Dafür sorgte dass Balthasar Neumann Ensemble und der Balthasar Neumann Chor unter Leitung von Thomas Hengelbrock zusammen mit namhaften Gesangssolisten im Festspielhaus mit einer konzertanten Aufführung der Oper Iphigenie en Tauride. Freilich ist eine Darbietung ohne Bühne und bewegungsreicher Inszenierung in entsprechenden Kostümen etwas fade. Es fehlt eben das Element was einfach zur Oper gehört, um daraus ein Gesamtkunstwerk zu formen.
So kann es passieren, dass der Funke nicht ganz überspringt. Wenigstens ist es so besser wie eine abstoßende Inszenierung. Aber musikalisch immerhin war es ausgezeichnet. In Baden Baden wurde natürlich die richtige Ouvertüre gewählt und nicht etwa diejenige aus der Iphigenie en Aulide. Wie es E.T.A. Hoffmann in seiner großartigen Erzählung Ritter Gluck, bezogen auf die Berliner Aufführungen seiner Zeit beschreibt.
Aber das wäre wohl dem allgemeinen Publikum gar nicht aufgefallen. Einer meinte sogar, war Gluck nicht der Name des Dirigenten? Die Musik des 18. Jahrhunderts ist trotz aller Renaissance, abgesehen von ein paar bekannten Werken Georg Friedrich Händels, Johann Sebastian Bachs, Antonio Vivaldis, Wolfgang Amadeus Mozarts und Joseph Haydns den meisten eine unbekannte Insel geblieben. Vielleicht eine Insel der Glückseligen? Die es aber zu erkunden und erst einmal zu entdecken lohnt.
Auch Komponisten wie Rameau dünken manchen eher ein Rahmkäse zu sein und Telemann eine Talkshow im Fernsehen. Leider war das am eher schwachen Besuch dieser exzellenten Darbietung zu merken. Die Connaisseure kamen aber voll auf ihre Kosten.
„Ein stilles Meer-ein Sturm-die Griechen werden ans Land geworfen-die Oper ist da“ so beschreibt E.T.A.Hoffmann den Beginn von Glucks tragischer Oper.
Der Komponist greift auf eine ältere Ouvertüre zurück, diese passt aber genau. Wohlklingende Akkorde malen das stille Meer, dann kommt Sturm auf mit rasenden Streicherpassagen und schmetterndem Blech, wirbelnden Pauken und knatterndem Schlagwerk malt das Freskenmeister Gluck.
Da ruft die Stimme der Iphigenie herein, der Oberpriesterin der Diana, von Tara Erraught mit großem Organ, weitem Atem, ja herrlichem Timbre vorzüglich gesungen. Der Frauen-Chor der gelandeten griechischen Priesterinnen tritt hinzu, stimmmächtig und klar skandiert der Balthasar -Neumann-Chor. Aufgewühlt flehen die auf Tauris Gelandeten um die Gnade der Götter, die erste und zweite Priesterin geben ihre Soli und werden mit Ella Marshall Smith und Karin Gyllenhammar aus dem Chor heraus gekonnt besetzt.
Und wir sind mitten im Geschehen auf ein Libretto von Nicolas Francois Guillard nach einer auf Euripides beruhenden Tragödie von Claude Gimon de la Touche, dass fließt direkt über in ausgedehnte Accompagnati der dramatis personae und in arienartige Gebilde. Es gibt praktisch keine Secco-Rezitative und eigentlich keine richtigen Da-Capo Arien mehr, wie noch in der Barock-Oper oder in der frühen Klassik. Im Jahre 1779, dem Jahr der Uraufführung in Paris, wurde Operngeschichte geschrieben und Meister Gluck geht in diesem Werk noch weiter wie in seiner älteren Reformoper L‘Orfeo. Was für ein Orchester ist das hier, mit vielen Klangfarben.
Zu Flöten, Oboen und Fagotten treten Klarinetten. Zu Trompeten und Hörnern, Posaunen. Es gibt verschiedenes Schlagwerk neben den Pauken, Becken etc. Gleich drei Spieler bedienen dass.
Wir sind mitten im Seelendrama des Untergangs einer Familie gelandet.
Agamemnon ,Iphigenies Vater, steht im Traum blutüberströmt vor ihr. Das Opfer ihrer selbst auf Aulis wird in Erinnerung gerufen. Doch statt ihrer wurde Diana eine Hirschkuh geopfert. Gluck hatte bekanntlich einige Jahre zuvor eine eigene Oper über dies Sujet geschrieben. Klytemnestra bringt ihren Gemahl Agamemnon um und wird dafür von Orest ihrem Sohn ermordet. Ein Fluch liegt auf Orest seitdem, von den Rachegöttinnen, den Eumeniden wird er verfolgt. Iphigenie bleibt ahnungslos. Thoas König von Tauris ist durch ein Orakel verdammt, jeden Fremden der sein Inselreich betritt zu töten, um nicht selbst zu sterben. Soweit die blutrünstige Geschichte des ersten Akts in Kürze. Ein kurzer Trauerchor der Priesterinnen unterbricht mit wirkungsvollen Dissonanzen den Monolog der Iphigenie. Endlich singt sie ihre erste große klagend beschwörende Arie an Diana, die Göttin der Jagd, gerichtet.
Hier sehr ausdrucksvoll gegeben mit begleitender Solo-Oboe. Das ist Gluck in vollendeter Schönheit und Melos. Erneut erklingt ein Trauerchor ihrer Gefährtinnen. Dann bekommt König Thoas seinen Auftritt.
Mit Armando Nogueras Bassgewalt ist diese Partie prächtig und kraftvoll besetzt. In einem Accompagnato und düster furioser Arie beschwört König Thoas die zürnenden Götter. Ein kurzer gemischter Freudenchor der Skythen, mit schallenden Becken zusätzlich rhythmisiert, verkündet die Freude über die gelandeten Griechen, denn sie sind willkommene Opfergabe ,den Götterzorn zu besänftigen. Diese beiden zusätzlich Gestrandeten Pylades und Orestes werden abgeführt.
Es entwickelt sich ein Dialog zwischen Iphigenie und Thoas. Pylades tritt hinzu mit Paole Fanale wird daraus eine schlanke feinstimmige Partie. Triumphierende Chöre des Volkes beschließen den sechsten Auftritt des ersten Akts mit Schwung und geballter Energie. Auf die Ballettmusik verzichtet man in Baden-Baden verständlicherweise weitgehend. Wer sollte auch tanzen?
Der zweiten Akt beschert gleich eingangs Orest und Pylades großartige Accompagnati und Arien. Mit dramatischer Verve viel Gefühl und Ausdruck gelingen diese Szenen der Gefangenen, bis ein Aufseher diese Beschwörung echter Männerfreundschaft jäh unterbricht.
Mit markigem Timbre singt den Wächter Josua Bernbeck. Und da sind sie wieder die Schrecken der Vergangenheit, Orest beschwört seine Mordtat an seiner Mutter herauf in einer dramatischen Arie. Die Rachegöttinnen fallen im Chor ein. Endlich kommt Iphigenie wieder zum Zuge mit ihren Gefährtinnen und es gibt große berührende Klageszenen und Chornummern, inklusive Solo-Oboe und Klarinetten. Das gelingt in Baden-Baden sehr eindrucksvoll. Mit Sicherheit einer der Höhepunkte der Oper. Das Drama spitzt sich zu, welcher Gefangene soll geopfert werden? Iphigenie fühlt sich zu Orest hingezogen, ahnt sie das es ihr Bruder ist? Bewegend die Szene der Botschaft an ihre Schwester Elektra. Von Gluck mit großer Instrumentationskunst und mit weitatmenden Gesangslinien umgesetzt, die Tara Erraught brillant meisterte. Beide Gefährten streiten darum, wer das Opfer sein soll.
Am Ende lässt Iphigenie gegen ihren Willen Pylades ziehen. Das gebiert wieder großartige Musik zu beeindruckenden Szenen, von allen Solisten bestens gestaltet. Besonders die lyrischen Gesänge von Pylades und Orest überzeugten.
Im vierten Aufzug gibt es die Opfer Szene von Orest. Hier hat wiederum Iphigenie ihren großen Auftritt zusammen mit dem Chor ihres Gefolges. Gluck schreibt eine ungeheuerlich ernste und feierliche Musik dazu. Die Accompagnati bieten harmonische Finessen und Kühnheiten ohnegleichen. Das Opfer soll vollzogen werden, da erkennt Iphigenie ihren Bruder Orest und lässt davon ab ihn zu töten. Hengelbrock feuerte seine Ensembles und die Solisten zu dem hochdramatischen und feierlich ernsten Geschehen an, dass da rein musikalisch sich entfaltete. Wunderbar der Wechsel zwischen den Chorpartien und den Solo-Gesängen Iphigenies und Orests. Freudig beschwört Iphigenie ihren wiedergefundenen Bruder in Accompagnato und Arie. Da taucht leider König Thoas mit seinem Gefolge der Skythen polternd wieder auf, dem die Flucht von Pylades nicht verborgen blieb. Schützend verhindert Iphigenies Gefolge Schlimmeres, Thoas versucht selbst Orest umzubringen. Just in diesem Moment kommt Pylades zu Hilfe und erdolcht Thoas. Endlich erscheint Diana selbst, die Göttin der Jagd, von Gwendoline Blondeel mit stimmlicher Leuchtkraft in expressivem Accompagnato gegeben, und verheisst einen glücklichen Ausgang, befiehlt den Skythen ihren Tempel nicht länger mit Menschenblut zu besudeln. Iphigenie und Orest sollen nach Mykene zurückkehren und eine Herrschaft des Friedens errichten. Mit einem klangvollen Triumphchor mit schallenden Pauken und Trompeten klingt Glucks Iphigenie aus. Da stimmte alles, die Balance aus Orchester, Chor-und Solisten. Thomas Hengelbrock gab zusammen mit Balthasar Neumann Chor- und Orchester ein hervorragendes Plädoyer für Christoph Willibald Gluck und seine Kunst großer Oper. Der Fortsetzung der Tragedie lyrique eines Lully und Rameau mit anderen Mitteln.
Jean B. de Grammont