Mendelssohn Oktett

In der einstigen anglikanischen Kirche, heute evangelisch-lutherische Johanneskirche zu Baden-Baden, spielten Mitglieder des Philharmonischen Orchesters Baden-Baden ein rares exquisites Programm für Streicher.
Die schöne Atmosphäre englischer Neugotik, mit einem großen Maßwerkfenster samt bunter Glas-Malerei und eine holzgewölbte Decke, die für gute Akustik sorgte, zauberten eine passende Ambiance zu den aufgeführten Preziosen der Streicher-Kammermusik.
Bevor das Hauptwerk des Abends erklang, nämlich Mendelssohns Oktett für zwei Streichquartette, setzen drei feinstimmige Miniaturen Akzente. Ein Avantgardist seiner Zeit war der unvergleichliche Telemann. Es gibt drei Concerti für vier Violinen ohne Basso Contino von ihm. Diese entstanden vielleicht schon in seiner Zeit als Hof -Kapellmeister in Eisenach von 1708 bis 1711, just damals machte er sich besonders mit dem Violinspiel vertraut im Wettstreit mit dem ersten Geiger der Hofkapelle Pantaleon Hebenstreit, überdies seinem Schwiegervater. Diese Besetzung ist in der Barockzeit einzigartig. Und Telemann schickt sich an, ein ausgewachsenes CONCERTO Grosso a la Arcangelo Corelli auf vier Violinen zu übertragen in kammermusikalisch konziser Form. Das CONCERTO in D-Dur erklang hier. Und Konzertmeister Yasushi Ideue formte zusammen mit Leonidas Karampoulat, Marc Bender und Esther Gutierrez ein vielfarbiges Kaleidoskop schillernder Klangfarben und kontrapunktischen Spiels. In dem dicht gewebten Adagio, in den munteren fugierten Läufen des Allegro, in dem harmonisch gewürzten Grave und in dem tänzerischen Allegro konnte sich ihre Violin-Kunst fein entfalten.
Nach der Moderne des frühen 18. Jahrhunderts ging es über zu einer Suite Bela Bartoks aus den Duos für zwei Violen, dem Klassiker der ungarischen Moderne.
Ana Zambrano und Agata Rettberg, Viola, formten aus dem Tanzlied, dem Märchen, dem Pizzicato-Tanz, dem dissonanzenreichen Charakterstück, mit dem Titel Gram, und dem sehr rhythmisch orientalischen arabischen Gesang, sowie dem ausklingenden hurtigen Allegro Vivo eine oszillierende Miniatur für Bratschen Duo.
Darauf bewies Luigi Boccherinis Sonata für zwei Celli in C-Dur das Bonmot eines französischen Musikkenners und Zeitgenossen des großen Cellisten und Komponisten aus Lucca, das da heißt: „möchte der liebe Gott den Menschen eine Freude machen, wählt er ein Stück von Joseph Haydn, möchte er aber selbst sich Vergnügen bereiten so spielt er eine Musik von Luigi Boccherini“. Thomas Lukovich und Kevin Guera an den Violoncelli liessen die drei Sätze dieser Sonata auf das schönste erblühen in munteren Terzen- Passagen in den Allegri und einem herrlich gesungenen molto cantabile im empfindsamen Largo. Endlich erklang das Oktett für zwei Streichquartette von Felix Mendelssohn- Bartholdy.
Ein Geniestreich des erst 16-jährigen Komponisten, dass er vor fast 200 Jahren im Oktober in die Welt setzte. Die akkurat geschriebene Handschrift ist überliefert und zeigt wunderbar die musikalischen Linien dieser
Partitur. Der junge Mendelssohn schuf damit zugleich ein neues Genre, das zugleich seine Beschäftigung mit der Musik des 18. Jahrhunderts und der Literatur seiner Zeit widerspiegelt. Alle genannten Musikerinnen und Musiker zusammen ließen das kraftvolle Feuer des Eingangs-Allegro , mit seinen aufspringenden Skalen und dem rhythmischen Wallen funkeln. Frühe Romantik nach dem Hauptsatz-Schema. Mit Feingefühl ging es in das liedhafte Andante. Das von Goethes drastisch derben Versen seines Walpurgisnacht-Traums inspirierte Scherzo huschte gemäß den Worten des Schluss-Verses passend mit pochenden Pizzikati und wirbelnder Finesse vorüber: „Orchester Pianissino:
Wolkenzug und Nebelflor erhellen sich von oben, Luft im Laub und Wind im Rohr und alles ist zerstoben“.
Endlich im Finale wird zu Beginn sogar Händels Messias, zitiert in einem Fugato, um daraufhin in einem rustikalen Tanz auszuklingen. Das setzten die Streicher der Philharmoniker Baden-Baden mit Bravour um und es war eine Freude ein Konzert mit eher selten aufgeführten Stücken zu hören.

Jean B. de Grammont