Es ist sehr erfreulich, dass das Freiburger Barock- Orchester zusammen mit dem Vokalensemble Vox Luminis unter Leitung von Lionel Meunier mit Telemanns sogenannter „Donner-Ode“ und Johann Sebastian Bachs Missa brevis in F-Dur auf Tournee geht.
Beide Werke sind relativ selten im Konzert zu hören. Telemann noch seltener als Bach.
Wir besuchten die Aufführung im Freiburger Konzerthaus am Mittwoch den 15 Mai 2024.
Lionel Meunier stammt aus dem Städtchen Clamecy in Burgund. Das ist die Heimatstadt von Romain Rolland, dem großen französischen Schriftsteller, welcher eine besondere Vorliebe für barocke Musik pflegte und dessen Essay „Memoiren eines vergessenen Meisters“ aus den 1920er Jahren zur Rehabilitierung Georg Philipp Telemanns wesentlich beigetragen hat. Wohl ist Lionel Meunier diesem Erbe verpflichtet.
Ein besonderes Stück ist diese Donner-Ode allemal. Höchstwahrscheinlich des Komponisten künstlerische Reaktion auf das verheerende Erdbeben von Lissabon anno 1755. Binnen weniger Stunden wurde die gesamte Stadt erst durch das Erdbeben, und schließlich durch Brände zerstört. Es starben über 60.000 Menschen, gut ein Viertel der Einwohner. Philosophen, Theologen Schriftsteller und Künstler, darunter Voltaire und Lessing diskutierten die Katastrophe, selbst Casanova merkte die Erschütterung in den Bleikammern zu Venedig.
Das Zeitalter der Aufklärung war in seinem Glauben erschüttert. Hamburg sandte Hilfsgüter und ordnete Buss- und Gedenk-Gottesdienste an. Zwar wurde der erste Teil der Donnerode, ein Werk des bereits 75 Jährigen Komponisten, bereits 1756 in St. Katharinen während des Gottesdienstes uraufgeführt, aber eigentlich ist das ein Werk für den Konzertsaal. Den neuen beheizbaren Konzertsaal auf dem
Valentinskamp gab es ab 1760, hier wurde der zweite zusammen mit den ersten Teil just 1760 gespielt. Dass Libretto der Donner-Ode stammt vom Kopenhagener Hofprediger Johann Andreas Cramer und ist eine Paraphrase verschiedener Psalmen. Der Sprache merkt man Cramers Zugehörigkeit zum Klopstock-Kreis an.
Die Komposition hat einen hymischen Charakter und ist ein Beispiel für das Erhabene in der Musik, ist zudem ein typisches Muster für den vorklassischen Spätstil . Vom Alter gibt es hier keine Spur, sondern da steckt viel jugendliche Kraft und Elan in den Noten. Fast möchte man von einem Furor a la Beethoven sprechen. „Wer aber ist der Greis, der voll heiligstem Feuer den staunenden Tempel entzücket, Telemann kein anderer als Du Vater der heiligen Tonkunst, weiß mit irdischen Chören die Chöre der Engel zu entzücken“ dichtete der von Telemann ebenfalls vertonte Friedrich Wilhelm Zachariae und hatte damit vor allem Telemanns Spätwerk im Blick. Über Freiburg zogen Gewitter-Wolken zusammen und dumpfes Donnergrollen in der Ferne war wie ein Echo auf das bevorstehende Konzert.
Zuerst erklang Teil 1 der splendid instrumentierten Donner-Ode. Strahlend und klar setzte der große Eingangschor mit Pauken und Trompeten Akzente. Zwischen Fortissimo und Piano wechselnd, immer nah am Text komponiert wurden im Mitteltal Mond und Sterne von den Solisten besungen. Während sich Erika Tandionos kristalliner Sopran in der folgenden durchkomponierten Arie bis hin die Kadenz hinein zusammen mit dem bis in hohe Lagen aufschwingenden Solo-Fagott Dialoge zu Pizzikati und pulsierenden Streicherlinien lieferte. Gottes-Verehrung auch im nachfolgenden dunkel getönten Arioso mit einem absteigenden Ostinato-Bass von Truhen-Orgel, Cello und Violone einsetzend mit der feinen Altstimme von Sophia Faltas zusammen mit Solo-Oboe zu einem beschwörend melancholischen Reigen ausgeformt. Endlich wird die Macht Gottes im Ausbruch der Natur-Gewalten gefeiert mit ungemein lautmalerischen Bildern, im vom Tenor beschworenen Sturm zu Streichern, die in raschen Läufen virtuos zuckten, dann in zwei Ariosi für Bass mit schmetterndem Horn und kraftvoll markanter Trompete zum Orchester,schließlich im kulminierenden Duett zweier tremolierender Bässe über einem Pauken-Orgelpunkt zum vollen Orchester im Fortissimo. Hier sangen Raffaele Giordano Tenor sowie Sebastian Myrus und Lorant Najbauer Bass ihre Partien gelenkig wie kraftvoll. Es schloss sich der Eingangschor da Capo an.
Dann der zweite Teil-ein Lobpreis des Gottes-Sohns mit einem hymischen Jubelchor begonnen, ganz mit dem homophonen Pathos der neuen Musik seiner Zeit mit Soli durchsetzt. Darauf sang wieder Erika Tandionos zu zwei duftigen Travers-Flöten und Streichern in schönster Reigen-Melodik, Friede und Barmherzigkeit preisend. Wuchtig fiel die folgende Bass-Arie aus, die ungewöhnlich genug Pauken und Celli als Solo-Instrumente mit dem Streichorchester kombiniert. Darauf dann eine wilde Arie mit Solohorn das Treffen der Geschosse des Höchsten besingend und ein Lobpreis auf Gottes ewigen Thron zugleich. Eine Wiederholung des sich aufschwingenden Eingangschores, gefolgt von einer jubelnden Tenor-Arie Raffaello Giordanis mit Solo-Trompete von Jaroslav Roucek auf der Naturtrompete in den höchsten Lagen meisterhaft zelebriert, ehe endlich ein schlichter wohlharmonisierter Choral das Werk feierlich abschloss. Besser kann man das gar nicht musizieren.
Ganz anders dagegen Johann Sebastian Bachs Missa brevis, das gegen 1738/39 in Leipzig aus mehreren Kantatensätzen teils weit älterer Werke kombiniert wurde, in dem vom alten Bach immer wieder angewandten Parodie-Verfahren. Als wollte Bach der Nachwelt vorzügliche Muster einer aus Kyrie und Gloria bestehenden lutherischen Kurzmesse geben.
Bei Telemann herrscht schon der Tonfall früher Klassik, bei Bach hingegen altmeisterliche Kontrapunktik und im Eingangs-Kyrie gar antiquierter Palestrina-Stil. Auch hier gestalte der Chor von Vox Luminis die Details wunderbar heraus und das mit zwei Oboen und zwei Corno da Caccia bereicherte Freiburger Barockorchester begleitete mit Akkuratesse. Ein aufwirbelnd kraftvolles kontrapunktisches Gewühl geradezu. Das Bass Solo mit Streichern colla parte wurde mit seiner konzertanten Rhetorik gut getroffen. Beeindruckend der lange Atem des Solo-Oboisten Maike Buhrows zum expressiven Sopran Solo Viola Blaches über Qui tollis peccata mundi. Beim Quoniam konnte Altus William Shelton glänzen zu den zirkulierenden Soli der Violine Peter Barczis, bevor die Missa überschwänglich im Cum Sancto Spiritu Chor jubelnd mit feinstgestrickten polyphonen Linien ausklang.
Jean B. de Grammont