Überlinger Musiktage 2025

Zwischen ganz Altem und gerade Komponiertem

Überlinger Musiktage werden fortgesetzt

Die Überlinger Musiktage fanden zum Glück im Jahr 2025 ihre Fortsetzung.

Lesen Sie gerne meinen Beitrag über das 2024 wieder revitalisierte kleine Festival für Alte und Neue Musik auf haute-culture-jdg.de (unter dem Stichwort Überlingen zu finden).

Bereits 1952 wurde der Vorläufer gleichen Namens gestartet, allerdings schlief dies kleine ambitionierte Festival dann bald wieder ein.

Freilich dürfen Sie hier in Überlingen keine Stars und Sternchen der sogenannten Klassik-Szene erwarten. Es sind überwiegend Interpretinnen und Interpreten aus der Region. Darunter aber durchaus Profis.
Dennoch haben die Überlinger Musiktage ihren Stellenwert, da ein breites Spektrum der Musikgeschichte von Alter bis Neuer Musik abgedeckt wird und es selten zu hörende Werke der Moderne, ja sogar Uraufführungen gibt.
Den sehr ambitionierten Anstoß dazu gab Kulturamtsleiter Michael Brunner.

Das erinnert dann in Sachen Moderne und in dieser Kombination fast an die legendären Römerbad Musiktage im einstigen Grand Hotel Römerbad zu Badenweiler.

Freilich hatte der verdiente Gründer und Hotelier Klaus Lauer ein anderes Budget und einen weit mondäneren Rahmen im Kuppelsaal seines eigenen Hotels zu bieten.
Hotel-Besitzer, Unternehmer und Mäzen war Klaus Lauer in Personalunion. Entsprechend prominente Komponisten und Interpreten waren hier zu Gast, von Hans Werner Henze bis hin zu Pierre Boulez und Wolfgang Rihm, vom Julliard String Quartet bis hin zu Christoph Prégardien, um nur wenige zu nennen.

Ich erinnere mich mit indes verklärender, ja nostalgischer Poesie an viele der dort von mir besuchten großartigen Konzerte, es war zur Zeit meines Studiums in Freiburg i.Br..
So entsinne ich mich etwa an Uraufführungen von Kammermusik Wolfgang Rihms, an eine Aufführung sämtlicher Streichquartette Bela Bartoks an einem einzigen Tag mit dem Julliard String Quartet oder an Schuberts Liederzyklus Die schöne Müllerin mit Christoph Prégardien begleitet von Michael Gees am Flügel.
Hernach gab es oft persönliche Begegnungen mit den Künstlern. Zuletzt entsinne ich mich erst recht gerne an die generöse Gastfreundschaft dieses wunderbaren Hoteliers Lauer, der mittlerweile dem Gesang der Sterne lauschen dürfte, so hoffe ich.

Das Hotel gibt es nicht mehr, Familie Lauer hat es lange schon verkauft und die nachfolgenden Hotelketten haben es nicht geschafft, das elegante Traditionshaus-das lange zu den „Leading Hotels of the World“ gehörte-zu halten.
Es stehen lediglich die Gebäude und werden nicht besser. Eine neue Nutzung ist offen.
Eine traurige Geschichte ist das. Zwar versuchte man danach an andere Spielorte wie das Kurhaus auszuweichen, dank Lotte Thalers Initiative.
Aber indes ist das Festival eingeschlafen und oben genannte Komponisten haben ebenfalls das Zeitliche gesegnet.

Aber zurück nach Überlingen! Direkt nach dem Krieg im Oktober 1945 schickte man sich im damaligen Landkreis Überlingen an, mit Unterstützung der französischen Militärregierung, hier neue Musik, die bis vor kurzem verfemt war , endlich wieder aufzuführen. So kam im Museums-Saal des Reichlin-Meldegg Hauses tatsächlich vor prominenten Gästen ein Werk Paul Hindemiths zur Aufführung.
Dieser prächtige Barock-Saal war auch 2025 Ort der meisten Kammerkonzerte, wobei ebenfalls ein paar Uraufführungen zeitgenössischer Musik dabei waren.
Weitere Spielorte waren die städtische Galerie Fauler Pelz, die ehemalige Franziskaner Kirche, die St. Jodok Kapelle und das Kurhaus.

Es begann heuer mit einem Liederabend im Barock-Saal des Reichlin Meldegg Hauses unter den kräftig quellenden Akanthus-Stuck-Ranken der prächtigen Decken des Raumes mit Empore, der leider nur knapp 100 Gästen Platz bietet.
Aber meist waren alle Plätze besetzt zum Glück.

Das sogenannte Neapolitanische Lied stand im Mittelpunkt. Das sind keine Volkslieder, wie es immer wieder heißt, sondern Komponisten Lieder, wenn auch teils -wenn man so möchte- im neapolitanischen Volkston.

Die aus Neapel stammende, in der Schweiz lebende Pianistin Carolina Danise war kurzfristig eingesprungen. Der in Überlingen gebürtige Deutsch-Italiener Marco Vassali übernahm mit sonorem Bariton und dem passenden Gespür für dieses Genre den Vokalpart.
Ob es nun zwei der fünf neapolitanischen expressiven Lieder des großen modernen Komponisten Hans Werner Henze waren, dessen Wahlheimat Italien war (standesgemäß in einer Villa Rustica in der römischen Campagna), oder in einer Arie des neapolitanischen Barock-Meisters Alessandro Scarlatti, oder den Klassikern der italienischen Oper vor und um 1900, wie Tosti, Donizetti, oder gar in verschiedenen Schlagern, etwa dem Ohrwurm O Solo mio von Eduardo di Capua war, alle Musikfreunde wurden an diesem Abend nach Italien versetzt, quasi in die Stimmung lauer Nächte am Golf von Neapel. Und das im trüben November am Bodensee.

Das die Sonne weiter schien, musikalisch wenigstens, dafür sorgte der wunderbare Abend in der städtischen Galerie Fauler Pelz mit Musik vom Hofe des Sonnenkönigs, stilgerecht aufgeführt auf historischen Instrumenten.

Louis XIV war selbst ein großer Liebhaber und Kenner der Musik, spielte Cembalo und Gambe, war ein vorzüglicher Tänzer und Förderer musikalischer Talente. Der König förderte sogar Künstlerinnen und Komponistinnen finanziell und mit guter Ausbildung, wie etwa die geniale Elisabeth Jaquet de la Guerre.
Insgesamt mehr als dreihundert festangestellte Musiker und Musikerinnen zählte einschließlich des Chores und der Gesangs-Solisten seine vorzügliche Hofkapelle. Das war Repräsentation und zugleich echte Musikliebe. Heutige Staatschefs sollten sich ein Beispiel daran nehmen.

Das „Trio Royal“ (es war der erste gemeinsame Auftritt und so könnte man ihr Ensemble nennen) sozusagen, mit Claire Marie Dreisaitl Mezzosopran, Karen Benda, Viola da Gamba und Miguel Bellas Barocklaute und Theorbe, machten das zahlreiche Publikum bekannt mit dem Raffinement der französischen Barock-Musik. Diese wird leider im Lande des Sauerkrauts und des Bierschinkens wie des Doppelbiers bis heute unterestimiert. Nur wenigen echten Connaisseuren, wie meiner werten Person, ist die art baroque francaise wohlvertraut. Und nur Oberflächlichkeit atmet diese Musik keinesfalls, wie schnell von altteutonischer Musikwissenschaft unterstellt wurde, die allein Fugen und Kontrapunkte eines gewissen Johann Sebastian Bach gelten ließ. Obgleich kunstvolle Polyphonie, Komponisten wie Lully, Campra und Rameau etc. in ihren Grand Motets ebenfalls meisterhaft beherrschten, hält sich das Vorurteil der Oberflächlichkeit. Ich hingegen trinke lieber Champagner als Doppelbier und höre sehr gerne französische Barockmusik, die mir manchmal lieber ist wie Johann Sebastian Bach; als Nachfahre einer französischen Familie mütterlicherseits darf ich so ketzerisch sein.
Genug des Laments!

Im Konzert überwogen Eleganz und der Charme des französischen Kammerstils. Immer wieder gemischt mit einer zarten Melancholie und Poesie. Besonders in den sogenannten Airs de Cour eines Michel Lambert wie dem tieftraurigen „Ombre de mon amant“ und Liedern Marc Antoine Charpentiers oder in den heiteren Airs de Boire eines Gabriel Bataille, der noch der Zeit Louis XIII angehört, war hohe Qualität zu hören, dank des ausgesprochen charmanten Vortrags der Mezzosopranistin Dreiseitl.

In die hohe Kunst des Gambenspiels führte Karen Benda mit Suiten und Charakter-Stücken Hotmans und des großen Monsieur de Sainte Colombe ein. Der durch den Kinofilm „die siebte Saite“ wieder einem größeren Publikum bekannt geworden ist.
Teils mit gezupften Saiten und mit schönem Bogenstrich und nobler nasaler Tongebung erinnerte die Solistin daran, das die Gambe mit der Laute und nicht mit dem Violoncello verwandt ist und wie das Cembalo ein aristokratisches Instrument par excellence war. Auch auf der kleinen Gambe, dem Sopran-Instrument der Violenfamilie, nämlich der Pardessus de Viole, steuerte Susanne Benda, eine Pièce bei.
Der spanische Lautenist gab gekonnt ein paar Solo-Stücke von Robert Ballard und accompagnierte zuletzt auf der Theorbe eine Suite des Gamben-Komponisten Marain Marais, der Engel der Gambe genannt wurde und ein Schüler de Sainte Colombes war. Es war ein wunderschöner Abend der Alten Musik, die zur Entstehungszeit absolute Avantgarde war.
Der französische Stil prägte Komponisten in ganz Europa, in England Purcell und Händel.
Im Römischen Reich deutscher Nation, vor allem Telemann und Johann Sebastian Bach und Johann Joseph Fux, um nur ein paar der Großen zu nennen. Selbst Antonio Vivaldi komponierte ausnahmsweise im französischen Goût in Teilen der Serenata „La Senna festeggiante“(die feiernde Seine) in Venedig, aufgeführt anlässlich des Namenstages von König Louis XV.

Am folgenden Wochenende ging das kleine Festival weiter im Kursaal und in der evangelischen Auferstehungskirche.

Zuvor allerdings gab es ein weiteres Highlight eigener Art, namentlich wenn es um Komponistinnen geht, herrscht im allgemeinen Musikleben Nachholbedarf. Zwar hört man hier und dorten Musik von Clara Schumann oder Fanny Mendelssohn-Bartholdy. In den normalen Konzertformaten ist das noch selten. Da haben Beethoven und Brahms Ihre maskulinen Locken vorne, um es humorvoll zu formulieren.

Ich hatte mal ein interessantes Gespräch vor langer Zeit, mit einem mutmaßlichen Musikwissenschaftler-Kollegen, der die Latrinen am Mainzer Dom reinigte. Da gab es in der Nähe ein paar antiquarische Bücher. Ein Handbuch über Komponistinnen nahm ich mit. Das sah derselbe und sprach mich an und meinte Fanny Mendelssohn war seines Erachtens begabter wie ihr Bruder und sprach über Werke im Detail, wie einige Oratorien von ihr, die selbst ich nur partiell kannte. Traurig das solche Kenner einer solchen Tätigkeit aus Not in dieser heutigen Zeit nachgehen müssen. Wo leben wir eigentlich? Wenn Bildung materiell einen solch niederen Stellenwert hat? Und offensichtlich meist dumme ungebildete Menschen in bestimmten Funktionen bevorzugt und bestens honoriert werden.

Aber zurück zur langen Nacht der Komponistinnen, die vier Konzerte beinhaltete, von denen ich zwei besuchte. Des Nachmittags im Barock-Saal wurde der Bogen weit gespannt vom einem Klavier-Trio mit Anna Mishkutenok Violine, Frank Westphal Cello und Jürgen Jakob Klavier.

Zuerst erklang eine ausdrucksvolle Violin-Sonate der italienischen Ursuliner-Nonne Isabella Leonarda aus dem 17. Jahrhundert für Geige und Generalbass. Im Kloster oder als Kurtisane war es Frauen zu dieser Zeit öffentlich erlaubt zu komponieren und zu musizieren.
Im 19. Jahrhundert wandelte sich die Situation etwas, war eine Frau wohlhabend verheiratet durfte sie durchaus komponieren und auftreten. Ausnahmen wie Clara Schumann bestätigten die Regel. Ferner bildete die Französin Mel Bonis eine Ausnahme, die sogar Camille-Saint Saêns bewunderte. Ihr poetisches Charakter-Stück Soir für Klaviertrio klang zauberhaft.
Eine Größe eigener Art war die frühverstorbene Lili Boulanger aus Paris, mütterlicherseits aus dem russischen Adel stammend. Ihre Schwester Nadja Boulanger trug ihr Erbe fort.
Beide Schwestern waren Schülerinnen von Gabriel Fauré und Louis Vierne gewesen. Man sprach hinsichtlich der beiden humorvoll von der Boulangerie der Musique.
Nadja Boulanger war selbst Komponistin, Pianistin und Dozentin für Komposition mit bekannten Schülern wie Philipp Glass und Aaron Copland, Astor Piazolla etc.
Ein betagter adeliger Musiker-Freund von mir studierte bei ihr noch in den 1960iger Jahren und erzählte mir manche Anekdote über Nadja Boulanger.

Lili Boulangers raffiniertes Trio im impressionistischen Stil D‘un matin de printemps entfaltete hier seine schillernde Wirkung und machte Lust auf mehr Entdeckungen dieser Art.

Pianist Arthur Rubinstein nannte die amerikanische Komponistin Rebecca Clarke, die Unvergleichliche. Ein avantgardistisches Klaviertrio von 1921 aus ihrer Feder entfaltete zum Beschluss seine gut konstruierten Bizzarien.

In die Komponistinnen-Welt des frühen und hohen Mittelalters entführte am Nachmittag das Ensemble Blancheflur im stimmungsvollen spätmittelalterlichen Rahmen der St. Jodoks Kapelle. Teils ist die Kapelle innen barockisiert, aber die Fresken aus der Zeit um 1400 geben die Athmosphäre des Mittelalters. Erst recht die Darbietung des weiblich besetzten Ensembles sorgte für eine Zeitreise besonderer Art. Claire-Marie Dreiseitl Gesang, Christine Kallenberg, Fidel, Flöte und Portativ, Sarah Kellog, Gesang wie Harfe und Quinterne, Margareta Romacker, Schlüsselfidel und Gesang schlugen musikalisch einen weiten Bogen.
Sie begannen mit Gesängen der legendären Kassia aus Konstantinopel, einer Klostergründerin im Byzantinischen Reich aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Für heutige Ohren eigenartige Klänge voller Schlichtheit und Magie, Gesänge auf Heilige und Kaiser Augustus und seine große Macht, die mit der des Weltenherrschers Jesus Christus verglichen wird.

Entweder in der Besetzung für Sopran Solo und Portativ oder begleitet vom Glockenspiel, egal wie, alles klang beinahe schwebend bei einer gewissen Monotonie.
Dann ging es weiter zur legendären Äbtissin Hildegard von Bingen vom Rhein aus dem 12. Jahrhundert. Dieser vielgelehrten Frau und großen Komponistin, deren Mysterien Spiel bzw. oratorische Werke wie Ordo Virtutum noch heute beeindrucken. Freilich kamen hier kleinere Stücke zu Gehör. Darunter zahlreiche Mariengesänge, die stilistisch ähnlich den sogenannten Organa, Vokalgesängen der Schule der Kathedrale von Notre Dame zu Paris, ähnlich sind in ihrer klaren Struktur geschichteter Vokallinien, unterbrochen von instrumental ausgeführten anonym überlieferten Conductus Stücken.

Zuletzt erklangen Ausschnitte aus dem Martin Codex, der ebenfalls anonym überlieferte Gesänge-in der gallizisch portugiesischen Tradition- aus dem 13. Jahrhundert enthält. Das besondere dabei, es sind weltliche Gesänge über Natur und Sehnsucht nach der Liebe aus Perspektive einer Frau.

Wieder in weit vertrautere Gefilde für die heutige Hörerschaft ging es am Sonntag.

Erst in einer Matinee aus der Überlinger Klassik-Konzert-Reihe, die ins Programm der Überlinger Musiktage eingeklinkt wurde, mit Orchesterwerken Johann Sebastian Bachs gespielt vom Kurpfälzischen Kammerorchester Mannheim unter Leitung von Georg Mais.
Dann am Nachmittag in der evangelischen Auferstehungskirche-Kirche hier, mit einem Hauptwerk, nämlich dem Requiem von Gabriel Fauré, vorgetragen von der örtlichen Kantorei und einem Instrumental-Ensemble unter dem Dirigat von Kantor Thomas Rink.

Eine interessante Ausgrabung eröffnete die Matinee. Nämlich drei Transkriptionen aus dem Jahr 1953 von Cembalo Tanzsätzen wohl aus dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach für Streicher durch den in Salem tätigen Komponisten und Pädagogen F.A.Wolpert, der übrigens in Salzburg ein Schüler des bedeutenden Opernkomponisten Ermanno Wolf-Ferrari gewesen war. Dirigent Georg Mais kannte Wolpert noch als junger Knabe und erzählte anekdotisch seine Erinnerungen eingangs. Diese galanten Tänze, einer sogar im polnischen Stil tändelnd, gefielen in der Adaption für Streicher, musikantisch und solide vorgetragen.

Freilich spielt man unterdessen Bachs Concerti und Ouvertüren-Suiten anders, lebendiger und pointierter, schlanker phrasiert, ja rhythmisch pulsierender als in der soliden Darbietung wie hier vom Kurpfälzischen Kammerorchester Mannheim. Es fehlte auch an der Grundierung durch ein Continuo Cembalo oder wenigstens einer Basslaute. Was eigentlich bei Stücken bis um 1760 herum immer besser passt. Das erinnerte an den Interpretations-Stil vor 40 Jahren.

Allerdings machten die Solisten ihre Sache gut. Als Solist wirkte Michael Ewers an der Violine in dem herrlichen E-Dur Konzert mit seinem Ouvertüren-artigen Ritornell Kopfsatz in da capo Form, seinem tiefmelancholischen Adagio mit singend klagender Geige, und endlich dem tänzerischen Rondo-Finale, das durchaus mit Caprice gegeben wurde.

Der diesjährige Preisträger des Bodensee Musikwettbewerbs der Stadt Überlingen im Fach Oboe Franz Hartmann hatte seinen Auftritt zusammen mit dem Violinisten im Doppelkonzert in d-Moll. Ein schöner Dialog der Solisten entfaltete sich hier im ersten Ritornell-Satz, im Kammerduett mit Pizzikato des Adagio und im beschwingten Finale.
Endlich schloss sich ein tänzerischer Barock-Ball mit der ersten Orchester-Suite Bachs an. Hier nun mit französischem Bläsertrio von zwei Oboen und Fagott wie Streichorchester. Nach der königlich rollenden französischen Ouvertüre mit fugiertem Mittelteil dann die Suite mit den typischen flotten Tanzsätzen der Zeit wie Courante, Gavotte, Forlane, Passepied und Bourree.

In der evangelischen Auferstehungs-Kirche war das Hauptwerk Gabriel Faurés bekanntes Requiem. Unter Leitung des Kantors Thomas Rink befleißigte sich die ortsansässige Kantorei zusammen mit einem Streicher-Instrumental-Ensemble samt Harfe und Harmonium und der Kirchenorgel dieses schöne verinnerlichte Werk in einer Bearbeitung des Kantors darzustellen. Fauré war ein Meister des klassizistischen Fin de Siècle. Poesie und Duft und eine tröstliche Melancholie walten darin.
Das bekamen alle durchaus ordentlich hin. Freilich erschien mir die erwünschte pro Kopf Spendenhöhe dafür, dass ohne Profi-Gesangs-Solisten und anderen eingekauften Profis musiziert wurde etwas zu hoch angesetzt. Für in einer Pfarrvilla am See-Ufer residierende und waltende Berufs-Protestanten in der besten lokalen Immobilienklasse zwischen 5 und 10 Millionen mag das aber passen.

Ein echter Höhepunkt dann wieder nach dem französischen Barock war dann das Solo-Recital für Violoncello im Saal des Museums. Christoph Hoesch, erster Solist des SWR-Symphonieorchesters, machte mit selten zu hörenden Juwelen der Cello-Literatur bekannt.
Unter den Akanthus-Stuckgirlanden erblühten zuerst die Capricci 1 und 2 des am Hof der Wittelsbacher in München tätigen vorzüglichen Compositore Evaristo Felice Dall‘Abaco, gut 10 Jahre vor Bach und Händel geboren und in den 1740iger Jahren verstorben klingt dessen Musik in diesen Stücken schon sehr modern. Mit viel Klang auf einem herrlichen Barock-Cello von Grancino aus Mailand um 1700 wurden diese barocken Raritäten geboten. Der Klang dieses Instruments bekam ebenfalls den großartigen Stücken der klassischen Moderne von Ligeti, Dutilleux und zuletzt Kodaly. Ligetys Solo-Stück war expressiv poetisch. Das mit Glissandi in hoher Lage und dunklem Grummeln beeindruckende Werk von Dutilleux war eine Hommage an den großen Basler Kunst-Mäzen Paul Sacher.

Kodály schuf mit seiner Solo-Sonate fast eine Sinfonie für Solo-Cello mit weiten Bögen in hoher Lage, einem Scherzo, einem verinnerlichten langsamen Satz und einem furiosen Finale. Das waren spannende Geschichten und Gedichte für Violoncello.

Weiter ging es mit Kammermusik am folgenden Abend in Klaviertrio-Besetzung. Mit den Variationen über eine Gavotte von Corelli aus Giuseppe Tartinis Sammlung L‘arte del arco eröffnete Anna Mishkutenok mit italienischem Barock, begleitet von Alexander Burdenko Klavier und Vladimir Afinogenow Violoncello als Continuo-Spieler zunächst.
Dann ging es weiter mit Avo Pärts Hommage an Mozart für Klaviertrio, dem mit Mozart-Zitaten gespickten Mozart-Adagio. Eine spannende expressive Uraufführung eines Klaviertrios in zwei Sätzen des Cellisten selbst schloss sich an. Nach diesem Stück des jungen Komponisten Afinogenov wurden Präludien und das große Klaviertrio Nr. 2 von Dmitrij Schostakowitsch temperamentvoll und mit dem richtigen Tonfall dargeboten.

Ein synästhetisches Experiment gelang mehr oder weniger mit dem Klavierabend, der Pianistin Naoko Christ-Kato. Zur Klaviermusik wurden stimmungsvolle Bilder regionaler Fotografen projeziert, durchaus passend zu den gebotenen Stücken ausgesucht. Manchmal bestand dabei aber die Gefahr medialer Ablenkung.
Die ausgezeichnete Pianistin setzt sich darüber hinaus sehr für das OEuvre verfemter und verfolgter jüdischer Komponistinnen und Komponisten in der dunklen Zeit des Nazi-Regimes ein. Zudem gab eine Uraufführung des lebenden New Yorker Komponisten Stanley Grill, dessen drei Preludes lichte und zarte, ja poetische Naturklänge verströmten. Eingebettet waren sie in die Sonaten-Kunst der einsätzigen Preziosen eines Domenico Scarlatti. Dessen kantable und elegante Klaviermusik bestens zur Geltung kam.
Mit Stanley Grills reizvollen Waldminiaturen erklang weitere Musik dieses amerikanischen Gegenwarts-Komponisten.
Davor gab es abermals Scarlatti und zum Beschluss leuchtete Claude Debussys Clair de Lune von den Tasten des Klaviers.

Einem weitgehend unbekannten Beitrag zur neuen Musik leistete das Konzert mit der Flötistin Ana Tutic und Chin-Fen Lee am Klavier. Denn der wunderbare romantische Komponist Franz Schubert wurde kombiniert mit Musik von Michael Braunfels, der lange in Überlingen lebte. Ein echter Zeuge des Jahrhunderts. Denn Braunfels lebte von 1917 bis 2015, und ist im Gegensatz zu seinem mittlerweile weltberühmten romantischen Kollegen erst noch zu entdecken. Auch für mich war Braunfels eine echte Überraschung. Mir war nur der Architekt Braunfels, sein Bruder und der Erbauer der Neuen Pinakothek in München und der ebenfalls verwandte Kunsthistoriker Braunfels ein Begriff. Braunfels dreisätzige Serenade für Flöte und Klavier ist leicht und luftig, ja gerade zu flott und atmet ganz impressionistischen Geist mit brillanten Läufen und eleganten Akkorden der Klavierbegleitung mit ausgefallener Harmonik.
In einer Danza mit geradezu zackigen und rustikalen Rhythmen und mit einem flockigen Grazioso zum Beschluss.
Sehr originell waren Braunfels Charakterstudien für Klavier, vom Mutwilligen bis hin zum Lausbuben und Melancholiker u.a. reichte die Palette dieser Miniaturen. Sie zeigten einen Komponisten mit Schalk im Nacken und erinnerten teils an humorvolle Piècen aus einer späten Orchester-Suite Telemanns für den Landgrafen von Darmstadt, in welcher der große Barockmeister einen eitlen Gecken zeichnete und einen Gichtkranken wie einen Melancholiker, freilich in ganz genialer Weise an die Braunfels Stücke in ihrer originellen gemäßigten Moderne natürlich nicht heranreichen.

Wunderbar war dann der romantische Kontrast des farbenreich vorgetragenen Schubert Impromptu in B-Dur und vor allem die mit großem Atem und Elan der Solistinnen vorgetragenen virtuosen Variationen für Flöte und Klavier Schuberts über sein Lied „Trockne Blumen“ aus dem Zyklus „Die schöne Müllerin“. Eines der wenigen Stücke für Querflöte der romantischen Literatur überhaupt, dass ich vor langer Zeit einmal beim Baggio Marini Alte Musik-Festival in Neuburg an der Donau auf historischer Romantischer-Flöte mit Klappen und begleitet auf einem Nachbau eines Streicher-Flügels des Wiener Biedermeier absolut stilecht erleben durfte.

Hörenswert war wiederum der Vortrag Andreas Kruses über die Betrachtung der Seele in der Musik Johann Sebastian Bachs und Wolfgang Amadeus Mozarts. Kruse spielte selbst am Flügel dazu ausgesuchte Klavier-Stücke besagter großer Meister und stellte sie in biografischen Kontext. Weit holte der Referent aus in Sachen Musiktheorie und Philosophie.
Ob Bach so autobiografisch komponierte, wie Kruse anhand seiner bekannten Toccata und Fuge für das Cembalo feststellte, die der Referent als künstlerische Reaktion auf den Tod von Bachs erster Frau vermutet, sei dahingestellt. Vorstellbar wäre es. Auch Mozart schrieb seine expressivsten Stücke für das Klavier etwa nach dem Tod seiner Mutter in Paris.
Und bei Komposition seiner zweiten Sonate für das Pianoforte in Moll, lag der Tod seines Vaters noch nicht lange zurück. Sicher ist, beider Komponisten Musik hat Seelentiefe. Kruse räumte Bach fast eine ganze Stunde ein und Mozart eine halbe, bei mir wäre es umgekehrt, aber das bleibt letztlich Geschmacks-Sache.

Das kleine Festival klang aus mit einem Konzert des Kammerorchesters der städtischen Musikschule in reiner Streicherbesetzung unter dem Dirigat von Ralf Ochs.
In der spätgotischen Franziskaner-Kirche mit ihren heiteren Rokoko-Dekorationen und Plafond-Malereien war dies ein festlicher Abschluss mit Musik von Vivaldi, Benjamin Britten und Arvo Pärt.
Wir wünschen dem Festival eine gelungene Fortsetzung.

Jean B. de Grammont