Das städtische Museum der Stadt Lindau erstrahlt seit Mitte Mai 2025 nach einer aufwändigen Renovierung von sechs Jahren wieder in neuem Glanz. Gut 33 Millionen Euro wurden investiert. Überregional bekannt wurde das Museum seit 2011 mit Ausstellungen zur klassischen Moderne, die lange Zeit von Roland Doschka kuratiert worden sind.
Es ist das berühmte Haus zum Cavazzen, das einst um 1730 fertiggestellt wurde.
Ich besuchte es schon vor vielen Jahren immer wieder gerne. Und zuletzt am ersten Tag der Wiedereröffnung.
Geplant hatte es der Appenzeller Baumeister Jakob Grubenmann im Auftrag der Kaufmannsfamilie Seutter von Loetzen. Diese Patrizierfamilie wohnte seitdem in vielen Generationen über 200 Jahre in dem Stadtpalais.
Zweifelsfrei ist es eines der schönsten Stadthäuser des 18. Jahrhunderts am ganzen Bodensee.
Bereits der bedeutende Kunsthistoriker Georg Dehio war begeistert von dieser anmutigen Architektur des Spätbarock und erwähnte den Cavazzen ausdrücklich in seiner Geschichte der Deutschen Kunst. Allein das geschweifte Mansartdach ist einzigartig, von Außen wirkt es elegant und innen ist es sehr aufwändig konstruiert. Eine echte Meisterleistung der Zimmermannskunst des 18. Jahrhunderts dieses Schweizer Originalgenies Grubenmann unter den Baumeistern.
Hinzu kommt die ungemein feinnuancierte Fassadenmalerei, die das Haus zu einem wahren Bijou macht. Groteskenmalerei mit die Fenster umrahmenden Sphingen oder liegenden Löwen und weiblichen wie männlichen Karyatiden, Fruchtgehängen, Girlanden, Waffen und Urnen, dazu kommen gebündelte Musikinstrumente wie u.a. Oboen, Flöten, Lauten und Gamben. Dazu zieren Vasen und Mascerons diese fantasievolle Fassadenmalerei, die eine süddeutsche und geradezu italienische Anmutung hat. Vermutlich kam der unbekannte Künstler aus Italien oder Tirol. Einzig die Schmalseite des Hauses gestaltete erst in den 1960iger Jahren der Kirchenmaler Joseph (Sepp) Lorch nach dem Muster der Hauptfassade zum Markt hin und er restaurierte die alte Malerei des Cavazzen. Lorch bemalte ebenfalls die Fassaden des Lindauer-Rathauses im alten Stil in den 1970er Jahren und nach dem Einsturz der Decke der Lindauer Stiftskirche eine ganzen Deckenhimmel neu im Stil der berühmten Freskenmaler des Barock Süddeutschlands neu. Weitgehend in Anlehnung an die Pozzo Brüder in Rom, welche die „ciels baroques“ für die dortige Jesuitenkirche virtuos schufen. Übrigens malte der Großvater des aus Füssen stammenden Lorch für König Ludwig II von Bayern Schloss Neuschwanstein aus. Und in Sigmaringen gab es den Kirchenrestaurator-Betrieb Lorch bis vor wenigen Jahren, den ich in jüngerer Generation, nämlich Sculz-Lorch zu kennen das Vergnügen hatte.
Unter den Motiven auf der Marktfassade
fällt ein aus einem Bogen tretender Armbrustschütze samt Jagdhund in der Kleidung des 16. Jahrhunderts vor einer Altane aus dem Rahmen. Ob es ein Vanitas-Motiv ist, bleibt fraglich. Mir scheint es eher eine Anspielung auf das alte Privileg der Aristokratie zur Jagd.
Offensichtlich wollte der Auftraggeber des Hauses und erster Bewohner Patrizier Johann Michael Seutter von Loetzen zeigen, dass seine Familie in Lindau etwas Besonderes ist und eine gewisse Anciennität hat. Auch das Famillen-Wappen über der Eingangstüre ist mit einer vergoldeten schmiedeeisernen Freiherrenkrone leicht aufgewertet.
Zwar gab es sogar den Stand des Reichsfreiherren in der Familie. Aber das war eine andere indes erloschene Linie, wie mir am Tag der Eröffnung ein Nachfahre des Patriziergeschlechts freundlich und mit Augenzwinkern erklärte.
Diese Begegnung war erfreulich, zumal mir von Herrn Seutter von Loetzen Familiengeschichte kenntnisreich und wie aus dem Nähkästchen erzählt wurde. Offensichtlich spielte die Musik bei den Seutters von Loetzen eine wichtige Rolle. So hält Gottlieb Seutter von Loetzen eine Flauto dolce mit Elfenbeinringen in seiner Hand, das war mir als Connaisseur der Musik vor allem des 18. Jahrhunderts gleich aufgefallen und ich teilte dies dem netten Nachfahren mit, der es erfreut zur Kenntnis nahm. Allerdings war dieser Gottlieb aus der Kemptener Linie. Abgebildet auf einer Schautafel zur Familiengeschichte.
Das Original des repräsentativen Doppelporträts des Bauherrn mit seiner Frau ist heute im Erdgeschoss in einem Raum zur Famillen und Baugeschichte zu bewundern. Auch das ein exzellentes Werk, das die Höhe der Porträtkunst des Spätbarock offenbart. Das zeitgemäße Ausstellungskonzept bezieht viel moderne mediale Technik ein. Sehr anschaulich wird das zum Beispiel beim Modell des Dachstuhls, einem Schnitt des Tragwerks. Hier können Neugierige das Ganze in Legomanier mit Teilen nachbauen und somit selbst in die Konstruktions-Historie aktiv und spielerisch sich einbringen.
Auch gibt es in dem aufwändig restaurierten Dachstuhl Filmbeiträge zum Gucken und die Möglichkeit in eine mediale Zeitmaschine einzutreten. Zum Glück sind vor allem im Piano Nobile wenigstens nach wie vor originale Objekte zur Stadtgeschichte sehen, etwa zu den Themen Religion in der früheren freien Reichsstadt mit ihrer überwiegend lutherisch protestantischen Prägung nach der Reformation und dem adeligen katholischen Damenstift oder zum Dreißigjährigen Krieg und so weiter und so fort.
Freilich die alten Stilräume gibt es nicht mehr. Man mag das bedauern. Denn damit geht doch ein wenig der Verlust des historischen Charmes verloren. Freilich verstehe ich das Anliegen, Staub und Mief der Vergangenheit weg zu fegen. Wozu auch die neuen frech-poppigen an den Deckengewölben des Kellers und des Erdgeschosses schaukelnden plastischen Module von Aljoscha beitragen mögen, was freilich Geschmacks-Sache ist.
Etwas mehr Objekte in den Schauräumen hätte ich mir allerdings gewünscht. Dennoch ist das Haus nun up to date und tip top saniert.
Gespannt bin ich bereits auf die neuen geplanten Kunstausstellungen ab 2026.
Lindau ist somit wieder um eine einzigartige Attraktion reicher. Das Haus zum Cavazzen lohnt den Besuch unbedingt.
Jean B. de Grammont