Fotocredit Beitragsbild Deutscher Kunstverlag
Die Ausstellung Heilende Kunst in den Räumen des LA 8 in Baden Baden ist die vorletzte Schau dieser Art der Grenke Stiftung im Museum für Kunst und Technik.
Die Kuratorinnen Sabine Becker und Ksenija Chochkova Giese haben eine umfangreiche kulturhistorische Ausstellung auf zwei Etagen konzipiert, mit zahlreichen Exponaten der Malerei und Grafik, Fotografien und Modellen zu den Themen Reformbewegungen wie weiterer gesellschaftlicher und künstlerischer Utopien vor allem aus der Zeit um 1900 bis in die zwanziger und dreißiger Jahre hinein. Da wird manches gestreift und angedeutet von der Kommune am Monte Verita bis hin zur berühmten Künstlersiedlung in Worpswede. Von Rudolph Steiners Antroposophie bis hin zur Selbstfindung Hermann Hesses im Tessin, wovon leuchtende Aquarelle seiner Hand ein beredtes Zeugnis ablegen.
Kunst ist ein Gesundheits-Mittel, das sagte schon David Pountney, langjähriger Intendant der Bregenzer Festspiele, und traf damit ins Schwarze. Hier in Baden-Baden passt das Thema trefflich. Denn die Kurstadt ist trotz ihrer mondänen Seiten in Sachen Luxus und Casino wie anderem mehr (wenngleich mit erheblichen Abstrichen aktuell, denn der Putz bröckelt an allen Fassaden im übertragenen Sinne, aber teils werden Hotel-Fassaden eifrig saniert) in erster Linie ein Heilbad zur Erquickung von Geist, Seele und Körper.
Freilich haben und hatten manche gesellschaftlichen Utopien einen faden Beigeschmack, oft glitten diese ins politisch linke oder rechte Fahrwasser ab. Und die Apostel des neuen Naturglaubens starben oft relativ früh, vielleicht gerade ob ihrers asketischen Dogmatismus. Das schon von Jean Jaques Rousseau propagierte zurück zur Natur wurde verengt. Das ist allemal ein aktuelles Thema. Und der Untertitel der Ausstellung „Wege zu einem besseren Leben“ verspricht hier keine Gebrauchsanleitung zu einem guten Leben, sondern es geht darum diese Gedankengebäude, die der großen Industrialisierung um 1900 mit ihren verheerenden Folgen bis heute in Punkto Lebensqualität und Lebensform einen Gegenentwurf bieten wollten, anschaulich werden zu lassen. Das ist in nuce und im Rahmen des Möglichen gelungen. Es lohnt, diese Ausstellung zu durchstreifen und den Impulsen nachzudenken.
Bereits die in einem weißen Hemd ektstatisch tanzende Frau vor einer Alpenkulisse auf grüner Weide und mit leuchtend gelbem Himmel des Plakates ist wirkungsvoll genug und zeigt im Kern worum es geht. Frei nach Aby Warburg haben wir hier ein wanderndes Motiv einer Nymphe, die sich aus der Antike in die Zeit nach 1900 in eine freie unberührte Natur verirrt hat.
Einer dieser Propheten und Künstler war Karl Wilhelm Diefenbach, der in Mönchskutte umherzog und seine Glaubenssätze predigte.
Ein abstinentes Leben, ohne Fleisch, Alkohol und Tabak. Auch der Nudismus feiert in seinem Gefolge die Geburtsstunde.
Dessen Entwurfszeichnung in der Art eines Scherenschnitts mit schwarzer Tusche gibt einen Triumphzug, wie aus der Antike oder der Renaissance bekannt: nackte Kinder, Frauen und andere Gestalten, die triumphierend Posaunen und Trompeten, Schlaginstrumente und einen Schellenbaum vor sich her tragen, die auf Harfen und Lauten musizieren, frei auschreitend auf einem etwas holprigen Boden.
Statt Triumphwagen gibt es Konstrukte aus Palmenzweigen, und Sänften, die getragen werden und Flamingos laufen daneben. Der Titel lautet sinnigerweise „Per aspera ad astra“. Das sieht hübsch aus, wie ein Revival des Biedermeier mit Anleihen am Jugendstil und es geht in eine fantastische Exotik. Gerne würde man der Musik dieser Triumphierenden lauschen, ob sie aber so gut wie Gustav Mahler klänge, wage ich zu bezweifeln. Mit 62 Jahren endete allerdings diese Reise zu den Sternen des neuen Natur Glaubens für Diefenbach.
Ein anderer Ort reformerischer Ideen war die Künstlerkolonie Worpswede. Mitten im Moorland war eine Siedlung entstanden, wo Kunstschaffende aus vielen Bereichen zusammen kamen, um der offiziell diktierten Kunstpolitik Kaiser Wilhelms ll einen eigenen Entwurf entgegen zu setzen. Fix-Sterne am Kunst-Himmel waren u.a. Paula Moderssohn-Becker und ihr Mann Otto Becker. Des Weiteren natürlich der Dichter Rainer Maria Rilke und der Maler und Grafiker Heinrich Vogeler. Von ihm hat jeder Bibliophile mindestens ein von ihm illustriertes Buch aus dem Insel-Verlag im Regal. Und wer kennt nicht die lustige Gesellschaft des Sommerabends auf der Terrasse des Berkenhoffs, wo sie alle versammelt sind?
Ein Gartenstück Vogelers mit Eule in geheimnisvollem Licht ist hier zu sehen.
Eine der bedeutenden bis heute existierenden Reformideen ist und war die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophie. Steiner war zu seiner Zeit in den zwanziger Jahren nach 1900 geradezu ein Star. Seine Vorträge waren sehr gesucht und immer voll. Von seiner Hand ist hier ein Tafelaufschrieb aus einem Gesundheits-Vortrag zu sehen. Daneben der Buchstaben-Entwurf eines A als Figurine. Zudem können Architekturentwürfe des ersten Goetheanums bewundert werden. Dieses ganz aus Holz errichtete Gebäude brannte bekanntlich durch Brandstiftung ab und man errichtete darauf das zweite Goetheanum aus Beton, das sogar von bekennenden Anthroposophen im Spaß als größter Bunker der Schweizer Armee bezeichnet wird. Und welche Impulse gab es nicht durch den Ausdruckstanz der Eurythmie. Überhaupt das Dasein in der freien Natur war und ist ein Thema.
Dass die neue Freikörper-Kultur auch von den Expressionisten aufgenommen wurde, belegt ein Holzschnitt Erich Heckels, der zwei nackte Männer in kantiger und grober Holzschnittmanier abbildet.
Hermann Hesse kam erst relativ spät zur Malerei. Ein Arzt riet ihm dazu, seine gelegentlichen Schreibblockaden auf diese Weise abzubauen und einen Ausgleich für das poetische Schreiben zu finden. Das war offensichtlich ein guter Rat. Denn Hermann Hesse malte fortan, vor allen Dingen mit Aquarellfarben, seine neue Heimat das Tessin in glühenden Farben. Vielleicht etwas naiv, aber einfach wunderbar lebensfroh und charaktervoll. Er reformierte sich gewissermaßen selbst und fand in der Malerei neben Wein und Zigarren ein weiteres Stimulanzmittel. Seine Lyrik und Prosa wäre ohne seine Bilder unvollständig und teils illustrierte Hesse seine Werke selbst wie das Büchlein Wanderung. Vier Blätter mit Landschaften Hesses sind hier zu bewundern und werden mit der Leuchtkraft ihrer Farben lange in Erinnerung bleiben.
Auch die Geschichte der Kommune auf dem Monte Verita wird gestreift. Und es gibt sogar Zeichnungen von psychisch Kranken aus der Sammlung Blankenhorn zu sehen. Das Thema Heilung durch Kunst wird fortgesetzt bis zu Frida Kahlo und Joseph Beus.
Eine Künstlerkommune aus der Nachbarschaft von Karlsruhe darf natürlich nicht fehlen. Es geht um Grötzingen und die dortige Künstlerkolonie um das alte Schloss. Friedrich Kallmorgen und seine Gemahlin scharte viele gleichgesinnte Künstler und Künstlerinnen um sich und es entstanden einige beeindruckende Bilder in einer Art Neo Romantik, die aber dennoch bereits Jugendstil und Art-Deco einfließen lässt, gerade in der Zeit um 1900 herum. Hier sind einige Exponate zu bewundern, die insbesondere die Natur feiern. Auf einem Bild Kallmorgens ist das Grötzinger Renaissance Schloss zu sehen von herbstlich rotoranger Hecke umrankt.
In unserer Besprechung konnten wir natürlich nur wenige Punkte dieser sehr reich gefüllten Kabinetts- Ausstellung etwas näher betrachten. Aber wenn sie liebe Leserin und lieber Leser neugierig geworden sind besuchen Sie einfach die Ausstellung und finden vielleicht Anregungen zur Heilung durch Kunst und sie werden sicher auf neue Gedanken kommen. Die Heilende Kunst- Wege zu einem besseren Leben wird bis etwa Mitte Januar 2025 zu sehen sein.
Jean B. de Grammont
Zur Ausstellung ist im Deutschen Kunst Verlag ein Katalog erschienen.