Das CD Label CPO hat immer wieder Lust am Besonderen. Das ist eine erfreuliche Bereicherung des CD Marktes, der sonst viel weniger bieten würde und sich auf ein enges Kernrepertoire begrenzen würde. Wir hielten bereits Rückschau auf verschiedene ältere Aufnahmen von Telemann und Boccherini und wenden uns jetzt mit großer Freude dem großen Barockmeister Georg Friedrich Händel zu. Allein schon, um den Verdacht zu beseitigen etwas einseitig über Telemann zu berichten. Freilich liegt ein Schwerpunkt von haute-culture-jdg.de auf Telemann -Aufnahmen, denn allzu lange wurde dieser großartige Komponist unterschätzt.
Aber keine Sorge liebe Musikfreunde, Sie werden alle sukzessive auch Ihren Bach und Händel etc. bekommen. Erst einmal also zu einer Selektion Händel vom Feinsten.
Dabei geht es von der ersten Oper Händels der Almira bis zu seinem vorletzten Bühnenstück dem Imeneo. Von der Pastorale Acis and Galatea samt einer frühen italienischen Kammerkantate hin zu einer grandiosen Trauermusik für Queen Caroline und einem Te Deum ihr zu Ehren.
Bereits der französische Schriftsteller und Musikhistoriker Romain Rolland war voller Bewunderung für Händels Kompositionen und sprach von der großen Höhe von der aus Händel seine Heroen agieren lässt. Das ist eine Musik wie aus einer anderen erhabenen Welt.
Beginnen wir unseren Händel Reigen mit dessen Pastorale Acis and Galatea. Dank des Boston Early Music Festival ist selbst in den USA die Barockmusik-Pflege auf höchstem Niveau.
Boston an der Ostküste in Massachusetts ist als Teil der alten England Staaten und dank der Nähe Harvards ohnehin intellektuelle Hochburg Amerikas. Und die ältesten Gebäude Bostons stammen sogar aus dem 17. und 18. Jahrhundert.
Eine Produktion des Festivals war Händels Acis and Galatea, die allerdings später in old Germany in Koproduktion von Radio Bremen für CPO aufgenommen wurde. Make America great or baroque again könnte man aufgrund der Qualität der Produktion hier ausrufen. Händel vertonte den mythologischen Stoff vom Hirten Acis und seiner Geliebten Galatea nach den Metarmophosen des Ovid erstmals auf Italienisch um 1708 und dann völlig neu um 1718 auf einen englischen Text für den Duke of Chandos.
In genau dieser kammermusikalischen Fassung der Uraufführung wird Händels zauberhafte Pastorale hier gegeben. Die Streicher als Quintett, dazu Theorbe und Barock-Gitarre und Fagott als zusätzliche Grundierung des Basso Continuo. Zwei Oboen und zwei Flauti dolci. Dies kleine Ensemble klingt aber voluminös und fein zugleich. Unter Paul O‘Dette und Stephen Stubbs Leitung entfachen die Chorsätze, Arien, Accompagnati und Secco Rezitative jenen pastoralen Charme, der ihnen gebührt. Bevor der polternde Polypheme auftritt und seinerseits die Nymphe Galatea begehrt, was zum Zweikampf zwischen Polypheme und Acis führt mit tödlichem Ausgang für den Hirten und seiner Verwandlung in eine Quelle zusammen mit Galatea. Musikalisch geht es von pastoraler Tanzfreude mit hirtenmässigen Arien hin zu einem Trauerchor und Lamento-Arien. Dank der Solisten Aaron Sheehan als lyrischer Tenor in der Rolle des Acis und der feingelenkigen Sopranstimme Teresa Wakilms als Galathea, dem kraftvollen Bass Douglas Williams als Polypheme und den Tenören Jason McStoots und Zachary Wilder als Schäfer ist die Produktion stimmlich bestens besetzt. Ein echtes Hörvergnügen! Als kleines Extra gibt es die italienische Kammerkantate Sarei troppo felice von 1707 für Sopran und Basso Continuo. Hier überzeugt die großartige Amanda Forsythe vollauf.
Ganz anders dagegen fällt die musikalische Welt aus auf der CD mit Händels Trauermusik auf Queen Caroline von 1737 und einem Te Deum von 1714 für dieselbe. Wolfgang Helbich und das Bremer Barockorchester zusammen mit dem Alsfelder Vokalensemble bereiten hier in dem grandiosen Funeral Anthem für Chor, Soli und Streichorchester mit zwei Oboen, mit seinen herrlichen Klagechören und Solo-Arien berückende Momente des barocken Memento mori. Die Musik ist verinnerlicht, man spürt das Händel ein gutes und vertrautes Verhältnis zur Queen Caroline gehabt haben mochte.
Im prunkvoll festlichen Te Deum, einer echten Staatsmusik des Barock treten Trompeten und Flauto Traverso hinzu und die Chöre zeigen Pracht und Größe. Das Solisten-Quartett mit Mieke van der Sluis, Graham Pushee und Harry van Berne und Harry van der Kamp war seinerzeit renommiert genug, um diese Aufnahme also in allen Belangen zu empfehlen.
Zurück zum Boston Festival of Early Music.
Hier nahm man sich vor ein paar Jahren dem Geniestreich des jungen Handel an und zwar seiner noch für die Hamburger Oper 1704 komponierten ersten Bühnen Musik überhaupt, der berühmten Almira. Das ist eine typische Oper für die Hamburger Bühne, wo Reinhard Keiser die Kunst des Opernkomponierens pflegte und später Georg Philipp Telemann die letze Blüte der deutschen Oper mitgestaltete. Übrigens ebenfalls mit zahlreichen Opern Händels in eigener Bearbeitung (siehe die Besprechung von Händels Oper Cleofida auf haute-culture-jdg.de) Diese Almira Händels ist wie in Hamburg damals üblich in deutscher Sprache gehalten, nur ein paar Arien werden italienisch gesungen. Übrigens war Reinhard Keiser an den Hof von Weißenfels ausgerissen und der junge Händel sprang kurzfristig ein und nutzte seine Chance und wurde gefeiert. Hört man diese prächtige Musik in dieser exzellenten Aufnahme, nimmt das nicht Wunder. Da ist schon der ganze Händel drin mit seiner italienischen Sanglichkeit und seiner dramatischen Kraft. Einschließlich der berühmten Sarabande, einem echten Ohrwurm, den Händel später in einem italienischen Oratorium wiederverwertet und in weiteren Stücken. Übrigens ging Händel bald nach der Almira nach Italien, um dort seinen Stil zu vervollkommnen.
Das Orchester der Almira ist sehr farbenreich instrumentiert. Zu einem größeren Streicherapparat treten Oboen, Flauti dolci, Fagotte, Trompete und sogar einmal eine Drehleier. Theorbe und Barockgitarre, ja sogar Barockharfe grundieren den satten Sound des Basso Continuo und dass alles fließt und sich dramatisch kraftvoll entfaltet, dafür sorgen die musikalischen Leiter Paul O’Dette und Stephen Stubbs. Die Königin von Kastilien mit ihrem Hofstaat wird nach der rauschenden Ouvertüre von ihrem Hofstaat gefeiert mit Pauken und Trompeten und einem Vivat Chor. Im ersten Ballett erklingt die bekannte Sarabande mit Kastagnetten. Großartig ist die erste italienische Arie Almiras mit Solo-Oboe und kraftvollen Akkorden der Streicher. Emoke Barath verleiht mit ihrem strahlenden Sopran der Königin Almira fantastische Bühnenpräsenz. Die Partie der Edilia ist mit Amanda Forsythes feintimbrierten Sopran exzellent besetzt. Colin Balzers gelenkig lyrischer Tenor übernimmt die Partie des Fernando. Christian Immlers herrlicher Bariton den Consalva. Zacharia Wilders klarer Tenor den Osman. Jesse Blumenbergs Bass den Raymondo. Terasse Wakims Sopran den Bellante. Beides treffliche Händel Stimmen. Und die komische Partie des Tabarco mit Witz und Flockigkeit der Tenor Jan Kobow. Und so gibt es fast vier Stunden Barockoperngenuss, der in einem teils rekonstruierten Sextett und einem beschwingten Schlusschor mündet. Es ist hier eine Freude zu hören und den Genius des jungen Händel zu erfahren.
Zuletzt sei Händels vorletzte Oper Imeneo empfohlen. Das war seinerzeit eine Produktion der Händel Tage im Schloss Brühl mit der Capella Augustina und dem VokalEnsemble Köln wie ausgesuchten Solisten unter Leitung von Andreas Spering. Gegen 1740 endet Händels Opernkarriere in London. Sein vorletztes Stück war genau dieser Imeneo, auf ein Libretto, das ursprünglich ein Divertimento einer von Nicola Porpora vertonten fürstlichen Hochzeitskantate war. Es geht in der Handlung letztlich um die Wahl Imeneos unter mehreren Kandidatinnen eine passende Gemahlin zu finden.
Die Besetzung dieser Oper ist einfach, meist Streicher und zwei Oboen, ab und zu Flauti dolci. Es ist eher eine Kammeroper mit zwei kurzen Schlusschören und einem Duett wie einem grandiosen Terzett, weitere Ensembles fehlen völlig. Lediglich ein großes Accompagnato intensiviert die Spannung und nur hier nimmt Händel seinen heroischen Tonfall auf. Ansonsten scheint der Komponist fast etwas ironisch distanziert zu seinen dramatis personae, die er aber mit wunderschöner Musik und bester Charakterisierung ausstattet. Dass diese Händel Melodien sich bestens entfalten können sorgen Sängerinnen und Sänger wie Ann Hallenberg mit ihrem samtig koloraturensicheren Mezzosopran als Tirinto, Johanna Stojkovic leuchtender Sopran als Rosmene, der schillernde feine Sopran von Siri Karoline Thornhill als Clomiri. Ferner Kay Stiefermann in der Partie des Imeneo mit markantem Bass und Locky Chung kraftvoller Bass als Argenio.
Die Capella Augustina begleitet mit feinziselierten Streicherkonturen und Andreas Spering befeuert zu besten Händel Momenten, so dass auch diese Aufnahme des Imeneo für jeden Barock-Opern Fan ein Must Have ist.
Jeder Händel Enthusiast sollte sich ohnehin alle hier besprochenen Aufnahmen zulegen.
Mir persönlich tut das Hören von Händel immer wohl. Das ist Lebensfreude und ein echter Genuss voller Sinnlichkeit!
Jean B. de Grammont