Telemann Passionsoratorium Die gekreuzigte Liebe von 1731

Georg Philipp Telemann hatte ab seiner Zeit als Hamburger Musikdirektor jährlich eine liturgische Passionsmusik zu komponieren und aufzuführen.

Daneben aber legte der Komponist einen Schwerpunkt auf die neue Form des Passionsoratoriums und zählte in dieser Gattung zu den führenden Meistern dieses Genres.
Eine Betrachtung des Leidens Jesu in freier Dichtung war das.
Insgesamt schrieb Telemann fünf Passions-Oratorien in seinem langen Komponistenleben.

Eines davon, nämlich das Selige Erwägen sogar auf einen von ihm selbst gedichteten Text.
Dieses und die hochdramatische opernhafte Brockes-Passion, auf ein Libretto des bedeutenden Barock-Poeten Barthold Hinrich Brockes, entstanden bereits in Telemanns Frankfurter Zeit. Beide Passions-Oratorien wurden immer wieder im 18. Jahrhundert aufgeführt.
Vor allem das Selige Erwägen erfreute sich einer großen Beliebtheit im gesamten deutschsprachigen protestantischen Raum des Säculums.

Viel später, nämlich um 1755 kamen der Tod Jesu auf eine Dichtung von Carl Wilhelm Ramler und zudem die Betrachtung der 9ten Stunde auf einen Text von Friedrich Daniel Zimmermann hinzu.

Letztere ist eher eine Passionskantate wie ein Oratorium und beides sind Spätwerke im empfindsam vorklassischen Stil Telemanns.

Beides waren ebenfalls recht verbreitete Werke, allerdings nicht ganz so beliebt wie Carl Heinrich Grauns Vertonung von Ramlers Tod Jesu, da sie von vergleichsweise herberer und kunstvollerer Art sind wie Grauns Musik, näher an Johann Sebastian und erst recht Carl Philipp Emanuel Bach wie der galant italianisierende Graun.

Hinzu gesellte sich um 1731 das Passionsoratorium Die gekreuzigte Liebe nach einem Libretto des Sächsischen Hofdichters Johann Ulrich König.
Dessen Oper Der geduldige Sokrates hatte Telemann bereits um 1720 komponiert und damit sein Entree als Opernkomponist in Hamburg gegeben.
Allerdings konnte dieses Passions-Stück nicht an die Popularität der anderen Passions-Oratorien anschließen, aus welchen Gründen auch immer. Die Musik dieses Werks steht den anderen Passions-Oratorien grundsätzlich nicht viel nach.

Mittlerweile werden Telemanns Passions-Oratorien wie desgleichen seine liturgischen Passionen glücklicherweise wieder entdeckt, ja aufgeführt. Fast alle sind teils bereits mehrfach eingespielt worden. Freilich sind diese Werke im allgemeinen Musikleben eher selten zu hören.

Auch von der Gekreuzigten Liebe liegt nun mit der verdienstvollen Neueinspielung des Telemann-Orchesters und -Vokalensembles unter Leitung von Roland Fitzlaff beim Label GALLO, dank des Engagements der Telemann Gesellschaft Schweiz, indes bereits immerhin eine zweite Aufnahme vor.

Das ist erfreulich, zumal das in kleiner Besetzung auf Original-Instrumenten musizierende Telemann-Orchester zusammen mit ausgewählten Gesangs-Solisten und dem Telemann-Vokalensemble durchaus eine gute Darbietung dieses feinsinnigen Passions-Oratoriums in Form eines leicht nachhalligen Konzertmitschnitts leistet.
Jeder Barock-Fan mag dieses Werk entdecken.

Schon die ergreifende Eingangs-Arie der Andächtigen Seele im italienisch pathetischen Stil überzeugt, hier nur von der Solo-Geige begleitet steht diese Arie gleichnishaft für die Schuld jedes
Gläubigen am Tod Jesu. Mirjam Blessing singt mit ausdrucksvoller Altstimme diese Partie.
Also beginnt das Werk, ein kurzes Rezitativ derselben leitet über zum Chor der reuigen Sünder, damit beginnt ein lyrisch fließender Chorsatz mit Streicherbegleitung und konzertierenden Oboen d‘amore, der in seiner markanten Rhetorik und Melodik durchaus an Kantaten-Chöre Johann Sebastian Bachs erinnert.

Die Handlung geht durchaus theatralisch opernhaft weiter. In den Szenen von Petrus gesungen mit Ausdruck von Bass Christian Marthaler, dessen Klage-Arie Fließt ewig, meine Zähren unter die Haut geht.

Turbae-Chöre der Juden verdeutlichen den Passionsbericht.
Sehr bildhaft sind die Arien der Gläubigen Seele und sie regen zur Compassio, zum Mitleiden ein. Die Sopranistin Barbara Böhi gibt diesen berührende Gestalt. Zuletzt wird der weinende Petrus in einer Lamento Arie mit klagender Oboe und pochenden Begleitfiguren beeindruckend besungen. Dies schließt den ersten Teil.

Während Patrick Oetterli die Rolle von Jesus mit kraftvollem Bariton übernimmt, erst im zweiten Teil des Passionsoratoriums tritt Jesus auf mit seiner pastoralen Bekenntnis-Arie Aus Liebe lag ich in der Krippen.
Zuvor führt ein ausgesprochen expressiver Chor in d-Moll mit schneidenden Dissonanzen in da capo Form in den Leidensabschnitt der zweiten Hälfte ein, die Weiber Jerusalems beklagen das Kreuz und Golgatha darin.
In dem mit Oboen und Hörnern zusätzlich farbig Instrumentierten Arioso Es ist vollbracht haucht Jesus sein Leben aus und die Hörner bekommen sangliche Passagen.
Ruhepunkte dazwischen bilden mehrere schlichte Choräle. Am Ende klingt das Werk mit einer anmutigen Sopran-Arie, die im da-capo vom Chor wiederholt wird aus. Zwei Traversflöten bringen Klangfarbe dazu. Es kommt hier der graziöse französische Stil zur Geltung und gibt dem Werk einen fast beschwingten auf die Erlösungstat des Gottessohnes abzielenden Abschluss. Es gibt viele Details in diesem erbaulichen und berührenden Passions-Oratorium, auf die ich hier gar nicht näher eingehen kann.

In jedem Fall lohnt es sich einmal mehr zur Passionszeit und auch sonst, sich von Telemann anrühren zu lassen. Es müssen nicht immer die omnipräsenten Passionen Bachs sein.

Jean B. de Grammont