Marc Antoine Charpentier beim Label CPO

Der bedeutetende französische Barockkomponist Marc Antoine Charpentier ist eigentlich vielen bekannt, wenigstens die Eurovisionshymne kennen fast alle. Geht diese Melodie doch zurück auf die Einleitung zu Charpentiers großartigem Te Deum.
Darüber hinaus bleibt Charpentier allerdings ein Komponist für Kenner.
In Deutschland ist die Rafinesse des französischen Barockstils nicht so ganz en vogue wie in Frankreich. Und Charpentier war wohl der bedeutendste Komponist neben Jean Baptiste Lully des grand siecle zur Zeit König Ludwigs XIV. Auch vom kunstsinnigen König selbst wurde dieser Meister geschätzt. Allerdings spielte Charpentier bei Hofe nur eine Nebenrolle.
Vor allem war Charpentier ein großartiger Komponist von geistlicher Musik. Es gibt zauberhafte Messen von Charpentier und entzückende Noels für Weihnachten.
Es wundert nicht, das Charpentier gerade beim Entdeckerlabel CPO eine Rolle spielt.
Hier wird der französische Barockmeister in seiner Bedeutung besonders als Autor weltlicher Opern und Festmusiken gewürdigt. In Frankreich hat wesentlich der Cembalist und Dirigent William Christie, der amerikanische Wahl-Franzose, zur Renaissance Charpentiers beigetragen.
So nimmt es nicht Wunder, dass insbesondere das Boston Early Music Festival sich Charpentier in eigener Sache angenommen hat.
Zwei dieser Produktionen möchte ich hier vorstellen.

Zwar nur ein Fragment ist Charpentiers wunderbare Oper über den Orpheus Stoff:
La Descente d‘Orphee aux Enfers. Die Musik endet mit dem Erfolg des thrakischen Sängers in der Unterwelt. Euridice darf den Hades verlassen da Pluto und Proserpina so gerührt von Orpheus Sangeskunst sind. Ein kleines Meisterwerk ist das. Orpheus Gesang wird stets von einem Consort von drei Gamben begleitet. Das edle Timbre dieser Instrumente passt sehr gut dazu und zeigt die Bedeutung der Gambe im Ancien Regime. Neben dem Clavecin ist es das wichtigste Instrument der Aristokratie. Es ist eine ausgesprochen feinsinnige Deutung des Orpheus Mythos, die Charpentier hier gelingt. Charpentier ist einer der großen Lyriker der Musik. Und in den Hades -Szenen mit ihren wechselnden Chören der verdammten Seelen, den Dialogen von Pluto, Proserpina und den flehenden Gesängen von Orpheus wird es dramatisch. Während die ersten Szenen der Hirten und ländlichen Feste, bevor Euridice den tödlichen Schlangenbiss erhält, ganz tänzerisch arkadische Musik enthalten. Hier feiert der französische Barock echte Triumphe. Besonders in dieser sehr gelungenen Darbietung der Bostoner Ensembles unter Leitung von Paul O‘Dette und Stephen Stubbs. Aaron Sheehan gibt einen trefflich gesungenen Orpheus mit seinem leuchtend lyrischen Tenor. Dem die feine Delikatesse des Soprans von Amanda Forsythe als Euridice nicht nachsteht. Douglas Williams kerniger Bass gibt einen großartigen Pluto. Dorothee Mields feiner Sopran trifft dessen Gemahlin Proserpina bestens. Desgleichen ist das Vokalensemble und sind die Partien der Hirten und Nymphen exzellent besetzt.
Diese Qualitäten kommen ebenfalls der Kantate La Couronne de Fleurs, einer Huldigung der Blumengöttin und ihres Gefolges zu Gute. Prachtvoll wird gesungen und musiziert und der pastorale Tonfall von den Instrumentalisten und Vokalensemble gelingt mit viel Anmut. Die Aufnahme wurde damals mit einem Grammy nominiert.

Ebenfalls eine Referenz-Aufnahme mit denselben Ensembles gelang von der Festoper Acteon, zu einer Jagdgesellschaft des Dauphin von Charpentier komponiert. Die durch Ovids Metamorphosen bekannte Geschichte mit grausamen Ende für Acteon, den Jäger mit Gefolge, der sich erdreistete die keuschen und scheuen Nymphen und die Göttin der Jagd Diana beim Bad in einem Waldsee zu beobachten und dafür dann von Diana in einen Hirsch verwandelt wurde, um darauf von seinen eigenen Hunden gerissen zu werden, gewinnt in Charpentiers Vertonung großartige Momente. Da werden in Chören Jagdbilder evoziert. Diana und Acteon erhalten schönste Dialoge und mit ganzem Pathos erlesener Plainte wird von seinen Gefährten Acteons Schicksal in wunderbaren Trauerchören besungen. Aaron Sheehan gibt Acteon lyrische Präsenz und Teresa Wakim Diana wirkungsvolle Konturen. Und die Göttin Juno kommt mit der Windmaschine als Dea Ex Machina daher und besiegelt das Schicksal Acteons, dramatisch dargestellt von Mireille Labels kraftvollen Mezzosopran. Ferner ist die kleine Kantate auf Orpheus Gang in die Unterwelt mit ihrer berückenden Lyrik hier zu finden wie die Kantate La Pierre Philosophale. Ein echtes Feen-Stück ist das.
Das sind beides CDs mit zauberhafter französischer Barockmusik, die in jeder Sammlung ambitionierter Barock-Hörer nicht fehlen sollten.
Jean B. de Grammont