Georg Philipp Telemann unternahm seine „längst abgezielte Reise nach Paris“ 1737-38 auf Einladung verschiedener Virtuosen.
Das war einmal der Flötist Michel Blavet, der Geiger Pierre Guignon und der Gambist Jean Baptiste Forqueray sowie der Cellist Eduard.
Am Cembalo begleitete wohl Anne Marie Boucon, eine Schülerin Jean Philippe Rameaus und später Frau des Komponisten de Mondonville oder eventuell der Komponist selbst.
Allesamt gehörten diese Virtuosen-Komponisten zur Creme de la Creme der Musik im Paris des 18ieme zur Zeit von Louis XV.
Telemann war von früh an ein Bewunderer und Verehrer der französischen Musik seiner Zeit und ahmte den feinsinnigen und tänzerischen gout francais meisterhaft nach oder besser vervollkommnete denselben in seinen Werken, sei es in Ouvertüren-Suiten oder Concerts, oder gar in Kantatenjahrgängen, wie dem sogenannten „Französischen Jahrgang“.
(siehe dazu auf haute-culture-jdg.de die entsprechenden Beiträge).
Auch in seinen Opern nahm er den französischen Stil gerne auf, besonders in „Orpheus, oder die wunderbare Beständigkeit der Liebe“.
Vor allem war Telemanns Edition der Musique de table von 1733 und der Pariser Nachdruck seiner Hamburger Six Quadri von 1730 Grund dieser Einladung.
Nicht allein besagte Virtuosen, sondern besonders der französische Hochadel bestellte eifrig Telemanns Musik-Drucke für seine Hofmusiker.
Die Hamburger Quadri von 1730 und die wahrscheinlich in Paris komponierten Nouveaux Quatuors von 1738 werden seitdem alle zusammen als Pariser Quartette bezeichnet.
Ohne Frage zählen diese Kompositionen zur schönsten Kammermusik aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Oder einfach gesagt, sie sind vielleicht gar die schönste Kammermusik (zumindest eines deutschen Komponisten) vor 1750 überhaupt!
Um 1752 erschien als Raubdruck eine Sammlung vom sogenannten Quatrieme Livre des Quatuors, das waren Streicher-Sonaten von Telemann, ebenfalls für 3 Streicher (2Violinen, Viola) und Generalbass. Arrangiert für Flöte, Violine und Gambe wie Cembalo. Es sind ebenfalls feine Stücke, die gerade in dieser Bearbeitung besonders reizvoll klingen. Aber sie haben mit den eigentlichen Pariser Quartetten streng genommen nichts zu tun. Auf die wenigen Aufnahmen derselben gehen wir hier deshalb nicht näher ein(mit einer Ausnahme).
Ein kleiner Essay und eine Rückschau auf verschiedene exzellente Aufnahmen, die mir besonders am Herzen liegen, soll daher diesen wahren Chef d‘Oeuvres Telemanns gewidmet sein. Keinesfalls ist diese Besprechung vollständig.
Bereits Karl Grebe wies in seiner verdienstvollen Telemann Rowolt-Monografie darauf hin, dass sich der Komponist als Künstler unter Künstlern und zudem als Intellektueller in Paris sehr wohl gefühlt haben muss. Denn Telemann war ein wahrer „homme des lettres“ mit echt französischem Esprit.
Zweifellos sind Telemanns Pariser Quartette und besonders die Nouveaux Quatuors die Gipfelwerke seiner an Meisterwerken reichen Kammermusik. Es ist einzigartig wie Telemann darin die Instrumente kombiniert und ihre Klangfarben verschmelzen lässt. Offensichtlich konnte er in Paris besagten Musikern diese Nouveaux Quatuors geradezu auf den Leib schmieden.
Telemann hatte also in Paris, die Möglichkeit für führende Virtuosen zu komponieren und konnte entsprechend anspruchsvoll schreiben ohne Einschränkungen. Kein Wunder, dass sein Freund Johann Sebastian Bach diese Quatuors bestellte. Auf der Subskriptions-Liste findet sich Monsieur Bach de Leipzig.
Nach meinem Studienjahr in Paris hatte ich die Möglichkeit, eine kleine Erzählung „Telemann und Paris“ zu schreiben und zu publizieren.
Überdies ist das Büchlein mit ein paar Aquarellen von meiner Hand illustriert. Leider ist diese unter dem Nachnahmen meines Vaters veröffentlichte Schrift längst vergriffen, antiquarisch ist das Buch bisweilen erhältlich.
(Siehe Abbildungen)
Zwar hat mir bei der Erzählung neben wenigen Fakten vor allem Madame Fantasie die Feder geführt und ein erfundenes Tagebuch der Verlegerswitwe Madame Boivin diente mir als Quelle. Aber wer in das Paris des Rokoko näher eintauchen möchte, der lese das Büchlein unbedingt.
Ich hatte die Ehre u.a. von Gustav Leonhardt gelesen zu werden und Anklang zu finden. Deshalb war ich später bei diesem großen Musiker und Cembalisten zu Gast im Bartolotti Haus in der Heerengracht in Amsterdam, nachdem ich zuvor wieder Paris besucht hatte.
Damit wären wir gleich bei einer herausragenden Gesamtaufnahme aller 12 Quartette zusammen mit den Kuijken Brüdern, die im Jahr 1997 bei Sony Vivarte erschienen ist.
Großmeister Leonhardt begleitet auf dem Cembalo den Flötisten Barthold Kuijken, den Geiger Sigiswald Kuijken und den Gambenspieler Wieland Kuijken, der hier übrigens auf einer Viola da Gamba von Nicolas Bertrand aus dem 17. Jahrhundert spielt. Das ist eine bis heute herausragende und geradezu klassische Referenz-Aufnahme aller Pariser Quartette. Unerreicht in ihrer Finesse, architektonischen Klarheit und delikaten Klanglichkeit. Auch die Kuijken Brüder sind ja wahre Legenden der Alte Musik Bewegung. ( ohne Abbildung)
Leonhardt war es auch, der -zusammen mit Jaap Schröder und Frans Brüggen sowie
Anner Bylsma – bereits in den 1960iger Jahren erstmals die Nouveaux Quatuors auf modernen Instrumenten herausragend aufgenommen hatte. Diese Schallplatten vermittelten mir die ersten Eindrücke dieser exquisiten Kammermusik und gerne erinnere ich mich an das Cover der Teldec Box, mit einer Ansicht des Louvre und der Seine und einem im Dunst verschwimmenden Häuser-und Dächermeer aus dem 18. Jahrhundert, das meine Sehnsucht nach Paris und Frankreich weckte, dem Land meiner Ahnen mütterlicherseits, das damals bereits meine Fantasie beflügelt hat. (Ohne Abbildung)
Die erste stilgerechte Gesamtaufnahme auf CD mit historischen Instrumenten aller Pariser Quartette wurde 1986 vom französischen Ensemble „Pariser Quartett“ beim Label Accord vorgelegt. Das waren damals Gérard Sharapan Flute Traversiere, Daniel Cuillier Violine, Jay Bernfeld Viole de Gambe und Jocelyne Cuillier Clavecin.
Ich entdeckte Vol.1 und später Vol. 2 und Vol. 3 bei meinem ersten Besuch in Straßburg in einem Musikgeschäft und erwarb diese klangschönen auf einem Loire-Schloss entstandenen Aufnahmen. Eine echte Hommage Frankreichs an Telemann aus unseren Tagen.(Ohne Abbildung)
Um 1990 herum erschien beim Label Virgin Classics eine weitere feine Aufnahme sämtlicher Pariser Quartette mit dem Traverso Flötisten Wilbert Hazelset zusammen mit dem Trio Sonnerie mit der Geigerin Monica Hugett, der Gambistin Sarah Cunningham und der Cembalistin Mitzi Meyerson. Eine sehr ausgewogene und delikate Aufnahme mit historischen Instrumenten, die mich während meines Paris Aufenthaltes begleitete.
(Ohne Abbildung)
Eine weitere wunderbare Aufnahme aller 12 Pariser Quartette legte der damals noch junge französische Cembalist Christophe Rousset bereits 1993 zusammen mit dem Tokio Barock-Trio beim audiophilen Label Denon vor. Rousset spielt darauf das klangvolle und wunderschön bemalte Cembalo von Henri Hemsch aus dem 18. Jahrhundert. Und die trefflichen Musiker des Tokio Barock Trio, darunter der Traverso Spieler Masahiro Marita, sorgen für eine klangsinnliche Interpretation, die sehr viel französischen Charme verströmt und ebenso Referenz-Status hat. Während meiner Zeit in einem Château in Burgund im Nivernais im oberen Loire Tal hatte ich viel Freude mit dieser Aufnahme im Salon am roten flackernden Marmorkamin des Abends oder bereits am Vormittag erfreute mich diese feine Aufnahme von Telemanns Musique.
(Ohne Abbildung)
Der Flötist Jed Wentz veröffentlichte um 2008 zusammen mit seiner Musica ad Rhenum eine weitere herausragende Gesamtaufnahme der Pariser Quartette beim Label Brillant Classics. Bisweilen ist sie in den Tempi etwas rasch geraten, vor allem die wunderschöne Chaconne des e-Moll Nouveaux Quatuor, das ist Geschmacks-Sache. Freundlicherweise sandte mir Jed Wentz im Austausch mit meiner Erzählung die CDs.
Etwas früher ,etwa im Jahr 2003, legte das Freiburger Barock-Consort eine hervorragende Aufnahme der Six Quadri bei Harmonia Mundi France vor. Auf dem Cover das zauberhafte Gemälde einer jungen Frau von Antoine Watteau, die sogenannte L’Amante inquiete (Die bange Geliebte) aus der Sammlung des Musée Conde im Château von Chantilly, ein Maler der bestens zu Telemanns Musik passt.(Abbildung)
Später folgte mit denselben Musikern, die sich hier „The age of passions“ nennen, bei der Deutschen Harmonia Mundi eine Gesamtaufnahme der Nouveaux Quatuors.
Der Traverso Flötist Karl Kaiser und weitere Musiker des Freiburger Barock-Orchesters wie die Geigerin Petra Müllejans, die Cellistin Kristin von der Goltz, die Gambistin Hille Perl, der Cembalist Thorsten Johann und der Lautenist Lee Santana sorgen hier für eine sehr spielfreudige und abwechslungsreiche Interpretation, die ebenfalls als Referenz-Aufnahme gelten darf. Die Rafinesse des zusätzlichen Lauten-Continuo verzaubert und bringt viel französisches Barock-Flair.
Endlich erschien beim Entdecker Label CPO 2009 und 2011 in zwei Folgen eine weitere sehr gelungene Gesamt-Aufnahme sämtlicher Pariser Quartette mit exzellenten Musikerinnen und Musikern der Barock-Szene. Darunter der Geiger John Holloway, die Traverso Spielerin Linde Brunmayr, dem Gambisten Lorenz Duftschmid (der hier ebenfalls eine wunderbare Gambe von Nicolas Bertrand spielt), zudem Lars-Ulrik Mortensen am Cembalo und Ulrike Becker am Continuo Barock-Cello. Das ist eine Aufnahme die klassische Ausgewogenheit, Klangschönheit und französischen Charme verbindet. Lorenz Duftschmid spielte mir vor langer Zeit am Renaissance-Kamin, als er noch in einem kleinen Schloss in Biengen bei Bad Krotzingen wohnte, Gambenwerke von Marain Marais vor eben auf seiner kostbaren Bertrand Gambe und somit tauchten wir in die Welt des französischen Barock ein.
(siehe Abbildungen)
Von den jüngsten Aufnahmen möchten wir noch die um 2017 erschienene mit dem französischen Ensemble „Nevermind“ besonders hervorheben.
Dabei der junge Star-Cembalist Jean Rondeau und weitere Virtuosen der jüngsten Generation der französischen Barock-Szene wie die Flötistin Anna Besson, den Geiger Louis Creach und den Gambisten Robin Pharo.
Zwar vereint das beim Label Alpha Outhere erschienene Album nur zwei Nouveaux Quatuors (h-Moll und e-Moll) mit dem Concerto Primo und einer Adaption einer der 20 kleinen Fugen und einer Sonata aus dem sogenannten Quatrieme livre de Quatuors, dem erwähnten Raubdruck von 1752 weit älterer Streichersonaten Telemanns.
Aber diese Aufnahme ist durchweg exzellent in ihrer Verbindung aus Virtuosität und Esprit und charmanter Klanglichkeit. Ein feines Beispiel dafür wie die jüngere Generation der Barock-Interpreten an diese Meisterwerke herangeht, so dass wir bedauern müssen, das Alpha sich gegen eine Gesamtaufnahme entschieden hat.
(Abbildung)
Gerade ist eine neue Aufnahme der Londoner Händel Players erschienen. Leider haben wir kein Rezensionsexemplar erhalten.
In jedem Fall werden die Pariser Quartette Telemanns weiterhin eine Herausforderung für arrivierte Ensembles bleiben.
Worin liegt wohl das Besondere gerade an diesen Quartetten Telemanns? Das ist nicht so einfach zu sagen. Aber bereits die erste Sammlung an Six Quadri von 1730 lässt aufhorchen. Kein Wunder dass diese in Paris nachgedruckt wurde und besagte Virtuosen-Komponisten Telemann kennenlernen wollten. Da gibt es zwei Concerti, eines italienisch dreisätzig, das zweite wechselnd aus langsamen und schnellen Eröffnungs-Stücken teils wie eine französische Ouvertüre, aber im italienisch virtuosen Stil bzw. mit kunstvollen Presto-Fugato und Schluss-Rondeau. Telemann erweist sich als Meister des vermischten Geschmacks. Darauf folgen zwei viersätzige Sonate da Chiesa. Und zuletzt zwei Suiten in französischen Stil. Vor allem letztere nehmen die Nouveaux Quatuors vorweg.
In dieser Sammlung zeigt sich schon der virtuose Umgang Telemanns mit drei Stimmen über dem Generalbass und es ist unbeschreiblich wie er die Idiomatik und den Klang von Traverso, Violine und Viola da Gamba ausschöpft. Es ergibt sich eine wahre Conversation galante aller Instrumente, die zu verzaubern vermag.
Eleganz, Anmut und Grazie, Kontrapunkt und feine Melodik, tänzerischer Schwung und der besonders reizvolle geradezu irisierende Zusammenklang dieser Instrumente stechen hervor.
Übertroffen werden sie dann von den Sechs Suiten der Nouveaux Quatuors von 1738, wohl in Paris komponiert. Italienischer Stil ist teils in den Prelude zu finden. Dazu kommt teils der polnische Stil. Dann sind da viele Charakter-Stücke, Tanztypen des französischen Barock und die Kunst der Variation in einigen ausgedehnten Finale und eine noch ausgeprägtere Virtuosität wie in den Six Quadri von 1730. Zuletzt gibt es eine Hommage an den französischen Stil im letzten Quatuor, das als einziges der Serie mit einer französischen Ouvertüre beginnt und mit einer unvergleichlichen Chaconne abschließt. Hiermit hat sich Telemann eingetragen in das Buch der Unsterblichen der Grande Nation.
Übrigens komponierte Telemann ja daneben, allesamt in den 1730er Jahren, die Sammlungen der jeweils 12 Fantasien für Flöte, Violine und Viola da Gamba und die 36 Fantasien für Cembalo. Das gehört alles in einen großen Kontext.
Alle Werke zusammen überraschen immer wieder neu. Auch nach vielmaligem Spielen und Hören. Es sind einfach echte Klassiker.
Jean B. de Grammont