Franz Schubert, ein zu Lebzeiten weitgehend verkannter Großmeister, findet auch beim Entdecker-Label CPO ein Reiches Feld an verschiedenen Einspielungen von der Kammermusik über Klavierwerke bis hin zum Männervokalensemble und natürlich der Orchestermusik mit einer Aufnahme sämtlicher Sinfonien und Fragmente, mit der ich meine Besprechung beginnen möchte.
Das sonst mehr im 18. Jahrhundert beheimatete L‘Orfeo Barockorchester geht hier einmal Wege der frühen Romantik. In einem Interview vor langer Zeit sagte mir einmal Michi Gaigg, die künstlerische Leiterin und Dirigentin dieser Aufnahme „Schubert muss sein“. Dem schließe ich mich gerne an.
Freilich bleibt es Geschmackssache, ob Schubert jetzt unbedingt historisch interpretiert sein muss wie hier.
Ein Freund, dessen Vorfahre als General unter Oberbefehlshaber Kutusov in russischen Diensten immerhin einmal Napoleon Bonaparte in einer Kavellerie-Schlacht an der Beresina geschlagen hat (bei Tolstoi zu lesen), und der dirigiert und Cello spielt, hält ja gar nichts von dieser Spielweise und spricht vom Asthmatiker Klang.
Vielleicht hat sich der mögliche Gehörschaden nach allzuviel Artelleriefeuer unter Umständen auf den Nachfahren vererbt, so dass für solche Feinheiten kein Sinn mehr besteht?
Zugegeben, hier wird Schubert klanglich aufgeraut und die Streicher klingen recht filigran, aber es ist doch eine schöne Klangfarbe hier mit im Spiel und eine sehr adrette Munterkeit, die gegen alle Gefühlsduselei angeht. Vergleichbar ist das mit einer älteren Aufnahme mit der Hannover Band unter Roy Goodman.
Schaut her, das bin ich, der Franz Schubert, möchte man beim Anhören seiner ersten Sinfonie sagen, ich kann es auch wie Mozart und Haydn und selbst der allmächtige Beethoven. Hört her!
Und das ist dann wirklich großartige Musik, die einen eigenen Tonfall hat. Kraftvolle Akkorde in der langsamen Einleitung und viel Feuer in der Umsetzung dieser echten grande Sinfonie überzeugen. Das ist eine großartige Einleitung zu dieser Gesamtaufnahme, die Ouvertüren und sinfonische Fragmente einschließt. Bei den sinfonischen Fragmenten gibt es manch Spannendes zu entdecken und es ist ausgesprochen bedauerlich, dass Schubert diese Sätze nicht mehr zu Ende geführt hat. In der Aufnahme brechen diese dann jäh ab, aber vorher sind teils noch genug Takte zu hören. Auch die anderen Sinfonien erstrahlen hier ungewohnt frisch und lebendig, ob sie nun Rossini-Anklänge haben oder eher tragische Größe zeigen. Geheimnsvoll ertönt die sogenannte Unvollendete und in ganzer großartiger Pracht die sogenannte große C-Dur Sinfonie mit ihren Posaunen und reichlich Blech. Ein Ungetüm geradezu mit ihren vier Sätzen von je einer Viertelstunde Dauer. Ein französischer Kollege schrieb einmal nach einem Konzert derselben mit dem Orchestre National de France unter Ricardo Muti, was ich in Paris live zu erleben das Vergnügen hatte, diese Große Sinfonie sei so etwas wie ein viergängiges Gourmet-Menu, wobei jeder Gang eben eine Viertelstunde dauert. Hier erreichte Schubert endlich die Große seines Idols Beethoven.
Eine weitere hörenswerte Aufnahme der späten Schubert Klaviersonaten legt Michael Korstick vor. Gespielt auf dem modernen Flügel erblühen diese rätselhaften großen späten Sonaten mit reichen Klangfarben auf einem modernen Konzertflügel. Korstick, sicher einer der großen Pianisten unserer Zeit, gewinnt diesen Höhepunkten der Klavierliteratur ganz neue Aspekte ab. Sehr lesenswert sind ebenfalls seine Booklet-Texte. Auch die Impromptus in ihrer Mischung aus Poesie und Melancholie vermögen zu verzaubern.
Desgleichen eine frühere lichte und freundliche Sonate in A-Dur.
Desgleichen spannend in ihrer Lesart sind die Violin-Sonaten von Schubert mit Lena Neudauer Geige und Wolfgang Brunner Fortepiano. Wolfgang Brunner spielt auf zwei historischen Flügeln mit elegant changierenden Klangfarben und Lena Neudauer bringt ihre Guadagnini Geige wunderbar zum Singen. Zwischen Heiterkeit und Ernst und viel geigerischem Temperament werden diese Sonaten hier zu einer Sternstunde der Romantik.
Ganz besonders gelungen ist die Aufnahme der großen Arpeggione Sonate Franz Schuberts, hier endlich gespielt auf dem Gamben-ähnlichen Arpeggione und nicht wie meist auf dem Violoncello. Lorenz Duftschmid übernimmt den Part auf dem Arpeggione unter reichlichem Gebrauch gezupfter Aliquot-Saiten mit viel sanglicher Poesie und kraftvoller Klanglichkeit bis in höchste Lagen. Wunderbar begleitet von Friedrich Guldas Sohn Paul Gulda auf einem kostbaren historischen Conrad Graf Flügel, der in seiner vielfarbig changierenden Klanglichkeit entzückt. Ein Reigen bekannter Schubert Lieder, hier arrangiert zu Liedern ohne Worte für Arpeggione als Singstimme schließt sich reizvoll an. Ebenso einige stimmungsvoll zärtliche Nocturnes des Schubert Zeitgenossen Friedrich Burgmüller begleitet von David Bergmüller auf der Biedermeier Gitarre. Zu den Liedern werden die Texte rezitiert.
Ganz der Schubertschen Fülle der Liedkompositionen sind die 5 Alben, die sämtliche Ensemble Lieder des Meisters enthalten mit dem trefflicheb Vokalensemble der Singphoniker. Diese Vokalensembles für Männerstimmen stehen in der Tradition eines Michael Haydn und waren gerade im süddeutschen und österreichischen Raum sehr beliebt als Form häuslichen musizierens im kleinen Kreis. Viele Dichter werden hier vertont. Und das Spektrum reicht vom geselligen Lied bis hin zu ernster großangelegten Poesie-Vertonung. Darunter viele Verse von Goethe und Schiller und von Goethe, bei Letzterem steht vor allem die vielseitige Vertonung des Gedichts des Gesanges der Geister über dem Wasser als beeindruckendes Exempel da. Besonders in der Fassung mit tiefen Streichern beeindruckt es. Auch diese Kollektion rundet das Schubert Bild köstlich ab. Und wir lauschen beglückt den Tönen des romantischen Wanderers zwischen Erde und Himmel.
Jean B.de Grammont