Georg Friedrich Händels Messias ist längst Standard Repertoire der geistlichen Oratorien-Musik. Seit seiner Uraufführung in Dublin 1742 im Rahmen eines Benefizkonzerts hat dieses Meisterwerk nach und nach die Konzertpodien der Welt erobert. Wohlgemerkt es war von Anfang an, ein Stück für den Konzertsaal.
Das Oratorium wurde sukzessive auf dem Kontinent in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bekannt und allmählich in der ganzen Welt.
Insbesondere Carl Philipp Emanuel Bach gab eine Aufführung in Hamburg auf eine Übertragung des Librettos durch den Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock, selbst Wolfgang Amadeus Mozart führte den Messias auf Anregung des kaiserlichen Diplomaten und Bibliothekars Baron Gottfried van Swieten mit einem anderen deutschen Text und mit reicherem Holz-Bläsersatz versehen in Wien auf. Das klingt bei Mozart dann etwa wie verschiedene geistliche Spätwerke von Telemann. Ich erinnere mich an an eine gelungene Live-Darbietung dieser Fassung mit der Gächinger Kantorei unter Helmut Rilling.
In der Literatur fand Händels Messias eine großartige Rezeption in Stefan Zweigs Erzählung „Georg Friedrich Händels Auferstehung“, die Zweig im Rahmen seiner historischen Miniaturen veröffentlichte.
Natürlich habe ich den Messias immer wieder und schon oft erleben dürfen auf meiner bisherigen Lebensbahn.
Zwei Aufführungen der Händel Original-Fassung sind mir besonders in Erinnerung geblieben.
Einmal in der Opera Bastille zu Paris mit „les arts florissants“ Chor und Orchester samt namhaften Solisten unter Leitung von William Christie (das ist schon eine Weile her) und zum anderen im Festspielhaus Baden-Baden mit der Akademie für Alte Musik Berlin und dem Rias Kammerchor mit ebenfalls exzellenten Solisten unter dem Dirigat von Ivor Bolton.
Nun folgte in Überlingen die Aufführung im St. Nikolaus Münster, die auf ihre Art den vorgenannten prominenten Darbietungen kaum nachstand.
Denn das bekannte Barock-Orchester L‘arpa festante begleitete ein exklusives Solisten-Quartett mit Marie-Sophie Pollak Sopran, Jan Börner Altus , sowie Patrick Grahl Tenor und Martin Hässler Bass zusammen mit der Münsterkantorei unter Leitung von Melanie Jäger-Waldau. Sie alle machten hier aus Händels Messias eine echte Zelebration festlicher Barockklänge.
Zwar spielte L‘Arpe Festante in Kammerorchester-Größe mit kleinem Streicher-Apparat und nur einer Violone (der barocke Kontrabass), wurde zusätzlich im Basso Continuo durch einen Theorbisten und durch ein zur Koloristik beitragendes Clavi-Organum verstärkt.
So dass entsprechende Abschnitte auf dem Cembalo und andere passenderweise auf der Truhenorgel grundiert wurden.
Das Orchester spielte mit helltönendem Feinschliff auf historischen Streichern, gemischt mit colla parte geführten Barock-Oboen und in den großen Chören hinzu tretenden Barock-Trompeten und Pauken. Schlank grazil und dennoch mit Fülle, wo es verlangt wird.
Von der schillernd rauschenden französischen Ouvertüre an, entfalteten sich also die dramatischen Szenen der Historia vom Leben des Messias mit vielen alttestamentarischen Bezügen auf ein Libretto des Poeten Charles Jennes.
Immer wieder wird Händels Meisterschaft in der Barock-Oper deutlich in diesem Werk. Händel zieht alle Register der dramatischen Kunst und steigert seine Klangbilder. Nicht alles komponierte Händel völlig neu für dieses Oratorium. Teils griff er sogar auf seine italienischen Kammerduette zurück und auf Opernarien. Das ist positiv hörbar.
Maria-Sophie Pollak gestaltete ihre anspruchsvollen Sopran-Parts fein und lucide als sicher in den Koloraturen. Desgleichen Altus Jan Börner, der mit wohlgestaltem Timbre und Koloraturen-Flockigkeit seine Arien und Accompagnati darbot. Tenor Patrick Grahl sang mit Schmelz und Lyrik und Bass Martin Häßler mit Kraft und Feuer. Allen Solisten eignete eine vorzügliche Artikulation.
Überraschend gut vokalisierte die Münsterkantorei mit der Fähigkeit zur Steigerung und der Chor klang recht sicher, selbst in den kontrapunktischen Linien der großen Chöre.
Wobei nicht nur das erhebende und berühmte Halleluja gelang, sondern ebenfalls der Lobpreischor auf die Geburt des Jesu-Kindleins mit seiner hellfreudigen Akklamation und insbesondere der prunkvolle Schlusschor mit seiner meisterlichen Amen-Fuge.
Ebenfalls erfreute die große Bass-Arie mit solistischer Naturtrompete. Und insbesondere das so elegant kantable Sopran-Air „I know that my redeamer liveth“. Also stehen übrigens die Worte dieser Arie an der Grabstatue Händels in Westminster Abbey eingemeißelt.
Nicht zu vergessen die pastorale Sinfonie, die Händels Zeit in Italien wieder in Erinnerung ruft. Viel Corelli steckt darin. Der sanftwiegende Hirtenton über dem Bordun wurde hier recht schäfermässig idyllisch gegeben, das ist einer der Ohrenschmeichler des Werks.
Es wären noch viele Details hervorzuheben.
Natürlich entfaltete die Aufführung in der spätgotischen Kirche des St. Nikolaus Münsters gerade vor der Folie des großartigen frühbarocken Retabels der Brüder Zürn, das Überlingen über seine süddeutsche, etwas biedere Provinzialität erhebt und zur großen Kunstgeschichte zählen lässt, ihren eigenen besonderen Reiz.
Es war insgesamt eine gelungene Aufführung, die hier in der Region sich nicht so schnell wiederholen wird.
Jean B. de Grammont