Fotocredit Festspielhaus BB Andrea Kremper
Während des Herbstfestivals 2024 La Grande Gare des Festspielhauses Baden Baden gab es eine besondere Zusammenstellung im Konzert des Balthasar Neumann Chores und Balthasar Neumann Orchesters unter Leitung von Thomas Hengelbrock. Nämlich erst eine frühe Kantate Johann Sebastian Bachs, wahrscheinlich aus der Mülhausener Zeit etwa um 1707/O8 entstanden, „Christ lag in Todesbanden“ BWV 4 und danach als Hauptwerk Wolfgang Amadeus Mozarts geheimnisumwittertes unvollendetes Requiem d-Moll KV 626, vervollständigt von seinem Schüler Franz Xaver Süßmayr. Die geneigte Hörerschaft des Konzerts konnte sich gewissermaßen aussuchen, ob Ihnen der evangelische oder der katholische Himmel lieber wäre. Meine Wenigkeit hätte sich im Zweifel allerdings nach dieser Aufführung eher für den katholischen Himmel entschieden. Denn gerade in Mozarts Requiem steckt, wie schon Nietsche bekannte, impulsive Lebensfreude bei aller Klage. Es ist wie ein riesiges Fresko in kräftigen Farben, ewige Ruhe der Seelen und die Schrecken des Weltuntergangs und des jüngsten Gerichts malend mit visionären Mitteln, weit seiner Zeit voraus. In seiner Theatralik und in seinem erhabenen Pathos unübertroffen. Das Erhabene im Sinne des 18. Jahrhunderts wird gefeiert. Es ist ein Werk, das genauso im Konzertsaal seine Berechtigung hat, wie Haydns Schöpfung, welche ja bekanntlich in einem Festsaal des Palais Schwarzenberg vor ausgesuchtem Publikum zu Wien uraufgeführt wurde (die Schöpfung kam in Baden-Baden ebenfalls zur Aufführung, leider konnten wir dieser Aufführung nicht beiwohnen).
Bachs Freund Georg Philipp Telemann führte nach 1760 bereits im neuen beheizbaren Konzertsaal auf dem Valentins-Kamp in Hamburg, extra für den Saal komponierte geistliche Groß-Werke auf und war damit nicht nur musikalisch seiner Zeit voraus. Das 18. Jahrhundert war weltoffen, zumindest in den großen Handels-Städten und an einigen aufgeklärten Höfen.
Vollendet in der Interpretation waren beide Werke von Bach wie von Mozart. Freilich halte ich dergleichen theologische Diskussionen vom Himmel katholischer oder evangelischer Prägung hier für obsolet, verstehe es geneigte Leserin, geneigter Leser als ironisches Apercu im Geist des 18ieme. Im Zweifel aber doch katholisch, nämlich Mozart. Aber solche Meister-Werke der Musik sind überkonfessionell und weltweit zu verstehen.
In der Bach-Kantate war das Ensemble entsprechend etwas kleiner aufgestellt, so nur ein Kontrabass. Hinzu trat ferner die Sonderform der Basslaute, das Gallichon , um den Basso Continuo wirkungsvoller zu strukturieren. Bachs Freund Telemann verwendete diesen Lautentyp (von ihm Calchedon genannt ) ebenso gern. Besonders in einigen Concerts Telemanns im französischen Gout für den Dresdener Hof wird diese Laute extra vorgeschrieben. Man stelle sich die eleganteste Darbietung vor, mit Silvius Leopold Weiß dem wohl großartigsten Lautenisten des Barock. Solche exzellenten Musiker standen dem jungen Bach in Mühlhausen eher nicht zur Verfügung, wohl aber gute Kräfte, sonst hätte er ein so anspruchsvolles Kantatenwerk gar nicht aufführen können. Hier im Festspielhaus war alles vom Feinsten. An der Laute Eduardo Eguez. Die Solistinnen und Solisten kamen bei Bach aus dem Chor und gestalteten ihre Partien vortrefflich vom Duett über Rezitative bis hin zur Aria, ebenso wie der Chor aus den ausgefeilten kontrapunktischen Choralbearbeitungen und Chören das Beste machte. Von der feierlichen Sinfonia an. Zu den Streichern traten Barockposaunen. So erstand ein kunstvoll gewobener Barock-Gobelin eines Meisters namens Bach. Mit den Worten Luthers von der Auferstehung Christi spendete das Werk Trost und gab musikalischen Genuss.
Die beinahe skurrile Geschichte um den Auftraggeber von Mozarts Requiem ist wenigstens Kennern geläufig. Ein Graf von Wallsegg, selbst Amateur-Komponist, bestellte das Requiem bei Mozart durch einen Boten. Er brauchte es zur Trauerfeier für seine verstorbene Frau. Freilich schrieb er das von Mozart und Süßmayr gelieferte Werk eigenhändig ab und stellte es als Eigenes Opus vor. Nun, jeder halbwegs mit Ohren und Musikkenntnis Ausgestattete dürfte gemerkt haben, dass hier etwas nicht stimmt, zumal diejenigen, welche die Marotten von seiner Erlaucht kannten immer bei solchen Dingen schmunzeln mussten. Aber zum Glück haben diese tragikomischen Umstände eine solche Komposition ins Leben gerufen. Das passt zum Komponisten des Don Giovanni allemal. Dann kommt hinzu: Mozart befasste sich ohnehin intensiver mit Kirchenmusik in seinen letzten Monaten. Man kann darüber spekulieren, ob es eine Vorahnung seines frühen Todes war. Vielleicht auch das. In erster Linie interessierte den Meister aber die Stelle als Kapellmeister am Stephansdom, die dem ausgabefreudigen Wolferl ein festes Salär beschert hätte. Muster der neuen hymnischen Kirchenmusik im erhabenen Stil in der Bewerbungsmappe zu haben, war von Vorteil.
Dann gibt es die berühmte Stelle Mozarts aus seinem letzten Brief an den Vater vom 4. April 1787:
„Da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren, besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht alleine nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes.“ Ingeborg Bachmann spielte in ihrer Hommage auf Mozart an aufs Requiem im „Ein Blatt für Mozart“ heißt es:
„Zieh deine schönsten Kleider an; dein Sonntags- Kleid oder dein Toten- Hemd, der Rasen ist frisch gemäht- nicht nur im Mirabell wenn du den Sonntag feierst oder dich zum Sterben niederlegst,lass die Streicher kommen, das Blech das Holz und die Pauken“.
Da hob im Festspielhaus das Requiem an. Ein leises Tasten der pochenden Streicher Bassettklarinetten und Fagotte im modernden Piano sachte dahinwallend und welkend mit den süßen chromatischen Klangfarben der Bassettklarinetten, die Mozart so liebte. Der Introitus beginnt, der Chor setzt ein: „Requiem aeternam dona eis Domino et lux perpetua luceat eis“. Gewaltige Chorsäulen, die zum ewigen Licht drängten. Das gestalteten Balthasar Neumann Chor und Orchester vortrefflich. Da fielen jäh im Fortissimo die Posauen-Rufe ein, ein Donnern der Pauken. Die Signale der Erweckung der Toten zum jüngsten Gericht von Mozart hier genial eingewoben. Solistin Carolyn Sampson ließ ihren Sopran leuchten im Solo „Te decet hymnus“ und die packende Fuge die Kyrie-eleison und Christe -eleison im strengen Kontrapunkt vereint, inspiriert von Händel, blitzte hier kraftvoll und gelenkig bis in die feinste Floskel auf.
Mit umwerfender Furore dann das Dies Irea, der Tag des Zorns. Ein rasendes Orchester, ein heftigst deklamierender Chor. Präzise und mit größter Vehemenz. So beeindruckend erlebten wir das selten. Dann der Ruf Tuba mirum zur Auferweckung der Toten von Bariton Tarq Nazmi, markerschütternd gesungen zu der kantabel aufjauchzenden in chromatischen Gängen sich verlierenden Solo-Posaune. Zu Staccato- Streichern fällt der Tenor ein , hier Benjamin Bruhns mit feinschlanker Prägnanz und singt vom Buch, das geschrieben ist und alles enthält was die Verstorbenen getan: liber scriptus. Endlich treten Mezzosopran Eva Zaicik in warmer Klangfinesse und der klarleuchtende Sopran von Corolyn Sampson wieder dazu und formen zusammen ein Quartett das in begleitender Bassettklarinetten-Seligkeit und einem innig pulsierenden Orchester um Gnade fleht beim Hergott-Richter an diesem jüngsten Tag. Die gewaltige Chorarchitektur des Rex Tremendae, wie kann man sich so Etwas nur ausdenken!?, in ihrer Weiträumigkeit und rhythmischen Kraft erschütterte. Darauf dann inniger Gesang des Vokalquartetts im Recordare zu den sachten Skalen warmtönender Bratschen und Geigen, immer von der Lieblichkeit der Bassettklarinetten durchwoben. Noch einmal die geballte Kraft im Chorunisono und in mächtiger Deklamation im Confutatis, mit dem flehenden Kontrast der Seelen im Fegefeuer im berührenden Piano inmitten des musikalischen Malmens der Verdammten, bevor dann mit seiner unnachahmlichen hymnischen Melodie das Lacrimosa vom Chor angestimmt wird mit größter Akkuratesse. Hier endet der weitgehend von Mozart notierte Teil des Requiems. Aber das Süßmayr keinesfalls ein schlechter Komponist war, belegten darauf die Teile des Offertoriums. Hengelbrock und seine Solisten und Ensembles sorgten auch in diesen nach den Instruktionen des Meisters Mozart ausgeführten Teilen für ein würdiges Plädoyer seines Schülers Süßmayr. Ein prächtiges Sanctus, inniges Benedictus, dunkelfunkelndes Agnus dei schlossen sich an, bevor die Klammer wieder von Mozarts großer Fuge geschlossen wurde.
Jean B. de Grammont