Im Rahmen der im Jahr 2024 wieder neu erstandenen Überlinger Musiktage im November, die an anderer Stelle umfangreich besprochen werden, gab es wieder eine Uraufführung in den Räumen der Städtischen Galerie der Stadt im Haus zum Faulen Pelz. Ist das Festival doch ausdrücklich für Alte und Neue Musik ausgelegt. Es kommt weitgehend mit Interpreten aus der Region aus. Freilich darf der Rahmen bisweilen etwas weiter gesteckt sein. So gastierte das Duo Carman aus St. Gallen mit Martina Jucker Flöte und Inez Ellmann Marimba anlässlich der Uraufführung der Carman Variationen des in Konstanz lebenden aus La Chaux-de-Fonds stammenden Schweizer Komponisten Frédéric Bolli. Diese Variationen über ein federleichtes tänzerisches Thema der Querflöte sind ausdrücklich dem Duo Carman gewidmet. Es ist aber keineswegs eine Anspielung auf George Bizets berühmte Oper Carmen oder gar ein Zitat daraus. Läse man den Ensemblenamen nicht genau, so könnte es leicht eine Verwechslung geben. Aber nicht Bizet, sondern Johann Sebastian Bach schrieb einen ausgesprochen berühmten Variationszyklus, im Auftrag des Russischen Gesandten am Dresdener Hof Hermann Carl Graf von Keyserlingk, damit ihn sein Kammercembalist und Komponist Johann Gottlieb Goldberg in schlaflosen Nächten mit kunstvollen Variationen über eine liebliche Aria divertieren konnte. So machte es bei diesem Programm mit Variationen Sinn, wenigstens das Thema aus den Goldberg Variationen Johann Sebastian Bachs erklingen zu lassen. Inez Ellmann machte deutlich, das Bach nicht nur auf Tasten, sondern auch mit Marimba lieblich singend klingen kann. Freilich Bachs Variationen wurden hier nicht gespielt, zum Glück! Denn sonst hätte das Konzert erhebliche Längen angenommen, vor allem falls alle Wiederholungen einbezogen werden. Da waren die kurzweiligen Variationen Frédéric Bollis eine passende Fortsetzung. Auch Bollis Thema ist cantabile und dabei federleicht. In der ersten Variation wird es dezent ausgeziert mit 16tel Läufen in der Flöte, die Marimba begleitet in harmonischen Akkorden. Variation zwei wird lebhafter, ja scherzando heißt es da. Ein flockiges Wechselspiel von Flöte und Marimba. In der dritten Variation überträgt sich diese Lebhaftigkeit auf die Marimba Begleitung, die wie ein Basso Continuo, der in raschen 32tel Läufen davonhuscht, während die Flötenstimme das Thema vereinfacht. Kunstvoll wie beim Barockmeister Bach geht es weiter. Aber keinesfalls antiquiert. Immer abwechslungsreich und mit einem gewissen Witz. Freilich werden sich später langsame und nachdenklich, leicht melancholische Variationen anschließen. In der vierten Variation wird das rasche virtuose Funkeln in 32tel Läufen auf die Flöte übertragen, also genau umgekehrt wie zuvor. Das Thema wird quicklebendig und gespiegelt in diesen letzten beiden Varianten, hier dürfen sich nicht nur Connaisseure angesprochen fühlen. Und mit der fünften Variatio geht es leise und nachdenklicher zu. Über stockenden Akkorden der Marimba wird das vereinfachte Thema zu einem leicht melancholischen Flehen. Dann folgt wieder ein Kontrast, nämlich ein Dialog von Flöte und Marimba in witzigen raschen 32tel Läufen in der sechsten. Wobei die siebte dann wieder das melancholische Moment vorherrschen lässt, es geht legato espressivo in der Flötenstimme in einen langsamen Satz über, das Thema wird entsprechend modifiziert. Die achte Variante fällt unmittelbar ein, wieder sehr rasch in Unisono Stakkati beider Instrumente und Fortissimo. In der Neunten wird das beschwingt tänzerisch, wieder entsteht ein munterer Dialog. In der zehnten Variation schliesslich bricht exzessive Virtuosität hervor: in 32tel Läufen beider Instrumenten-Partner, als wäre es ein Streit oder Wettstreit. Die Flöte wird mit Flatterzunge schrill angeblasen. Endlich in der elften und letzten Variation gibt es wieder einen Dialog beider, aber ebenso in furiosen Läufen aus Flöte und Marimba im Wechsel. Zum Beschluss erklingt wieder das luftig leichte Thema. Das Duo Carman gab die Uraufführung dieser Kammerpreziose Frédéric Bollis mit Augenzwinkern, Expression und gekonnter Virtuosität.
Daraufhin wechselte man zu Claude Debussy in den französischen Impressionismus.
Drei Charakterstücke, darunter die exotische Arabesque,the Little Black und das feinstimmige Claire de Lune entstanden in Arrangement für diese Besetzung neu. Interessante Klangfarben ließen aufhorchen. Und beim Mondlicht konnte man bei einem anschließenden Spaziergang am See, sich in Debussys Klangwelt hinein versetzen.
Zuletzt forderte das Duo Carman zum Tango Tanz auf. Mit den wunderschönen Stücken aus Astor Piazzollas Histoire du Tango wurde ein leidenschaftlicher Ausklang suggeriert. Es fehlte nur die Tanzfläche.
Jean B. de Grammont