Telemanns Ino und Orchestermusik

Endlich gibt es wieder eine neue Aufnahme der späten dramatischen Kantate Ino von Georg Philipp Telemann. Beim Label Pentatone ist diese erschienen.
Hinzu gesellen sich drei Orchesterstücke, aus dem Konvolut der zum Namenstag des Landgrafen Ludwig VIII. um 1765 komponierten Werke. Das sind jene späten Schätze aus Telemanns reichem Lebenswerk, die auf der einen Seite nostalgisch zurückblicken, auf der anderen Seite die modernsten Formen ihrer Zeit avantgardistisch bedienen. Siehe dazu meinen Beitrag über Telemanns T6 auf dieser Website in der Gesamt-Einspielung mit La Stagione.
Interpreten sind hier die Telemann erfahrene Akademie für Alte Musik Berlin unter Leitung des Violinisten Bernhard Forck und die Sopranistin Christina Landshamer.
Telemann begeisterte sich in seinen letzten Lebensjahren sehr für die neueste Literatur. Darunter insbesondere für Dichtungen Klopstocks, Zachariaes und Ramlers. Deren neuer Sprach-Duktus, geschult an der klassischen Antike, welcher die deutsche Sprache um neue Ausdrucks Formen bereicherte, die endlich in den Dichtungen Goethes und Schillers ihren Höhepunkt fanden. Telemann vertonte vor allen Dingen geistliche Texte genannter Dichter. Zuletzt aber wandte er sich weltlichen Libretti zu. Darunter mythologischen Stoffen wie der Metamorphose der Ino zur Seegottheit Leukothea von Karl Wilhelm Ramler und in der Kantate La Tempesta nach einer Dichtung von Pietro Metastasio. Letztere wurde gegen 1767 komponiert und ist leider nur fragmentarisch überliefert. Aber wenigstens haben wir die Ino-Kantate. Deren Aufführung bedarf einer besonders talentierten Sängerin, da der Solopart ausgesprochen anspruchsvoll ist. Leider gibt es von diesem Meisterwerk bis heute relativ wenige Aufnahmen. Zwei ältere, mit normalen Instrumenten begleitete, seien erwähnt, darunter eine mit Gundula Janowitz und eine mit Adele Stolte. Lange waren die Aufnahmen mit Musica Antiqua Köln unter Reinhard Goebel mit Barbara Schlick und insbesondere die mit dem Concentus Musicus Wien unter Nikolaus Harnoncourt mit Roberta Alexander erste Referenz in Sachen historisch informierter Interpretation. In jüngerer Zeit kam die Aufnahme mit La Stagione unter Michael Schneider mit Ana Maria Labin hinzu. Jetzt wirft die Aufnahme mit Christina Landshamer neue Lichter auf diese wundervolle Partitur.
Poetische Bilder regten Telemanns Fantasie an.
Hier handelt es sich um die Geschichte der Ino, die mitsamt ihrem Sohn Melicertes vor ihrem rasenden Gemahl Atamas flieht. Denn Semele hat ihn in den Wahn getrieben aus Rache. Ino rettet sich mit einem kühnen Sprung von einer Klippe ins Meer vor der Verfolgung. Somit überlebt sie samt ihrem Sohn. Denn sie wird darauf von Neptun, den Najaden und Nereiden freundlich aufgenommen und zur Gottheit Leukotea erhoben. Das Werk ist besetzt mit Streichern und Basso Continuo, zwei Travers-Flöten und zwei Naturhörner schenken zusätzliche Klangfarben. Es geht abrupt los mit einem hastigen Accompagnato-Rezitativ. Eine Rache Arie mit blitzenden Koloraturen lässt der Sängerin Raum, ihre Virtuosität zu zeigen. Hernach zeichnet das Orchester aufgewühlte Szenen nach und das mit kompositorischer Kühnheit ohnegleichen. Telemanns Spätstil lässt in dieser Kantate bereits an Haydn und Mozart denken, vor allem aber an die Opern Christoph Willibald Glucks.
Man hört das Schäumen der Wogen, eine kurze Sinfonia mit zwei Flöten schildert die Meeresstille. Endlich kann sich Ino in einer atmenden und schwärmerischen Cavatine mit sordinierten Streichern und wirbelnden Flöten bedanken über ihre Rettung durch die huldvollen Meerwesen, diese tanzen ein Menuett, den Tanz der Tritonen, und blasen auf den Muscheln. Eine große Bravour-Arie beschließt die Kantate.
Christina Landshamer singt die Partie der Ino mit geschmeidigem Timbre und delikater Süße und dem passenden expressiv dramatischen Ausdruck.
Ihre Stimme blitzt und leuchtet in den schönsten Nuancen, ist gelenkig und hat das im höchsten Maße was Mozart als geläufige Gurgel beschrieben hätte in schillernden Koloraturen.
Die Akademie für Alte Musik Berlin begleitet mit dramatischen Furor und höchst elegant bis geschmeidig und trifft den Tonfall der frühen Klassik des alten Telemann bestens.
Das gelingt dem Orchester ebenso trefflich in der eröffnenden Orchester Suite in D-Dur mit Streichern und zwei Hörnern und Oboen, mit der hymnischen Plainte, dem Glockenspiel der Darmstädter Residenz und anderen Pieces de charactere wie auch in dem Divertimento in Es-dur mit zwei Hörnern und zwei Travers-Flöten mit seinen charaktervollen Genre Bildern einer zur Jagd aufbrechenden Hofgesellschaft die in munterer Tafelrunde parliert. Nicht weniger charmant wird die Sinfonie melodica mit zu den Streichern tretenden französischen Oboen und Fagott Trio in ihren Tänzen angegangen. Alle Orchesterstücke sind raffinierte Divertissements, die hier vielleicht noch eine Spur charmanter musiziert werden, wie in der vortrefflichen Gesamt-Aufnahme von La Stagione.
Es ist in jedem Fall eine ausgesprochen empfehlenswerte CD, die selten aufgeführte Werke in ansprechender Weise erlebbar macht.

Jean B. de Grammont

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