Das großangelegte Kantaten-Projekt der Aufnahme des kompletten sogenannten Französischen Jahrgangs Telemanns nähert sich dem Ende. Gerade ist beim Label CPO Vol.5 erschienen mit Kirchenstücken nach Trinitatis für Himmelfahrt und für das Pfingstfest.
Merkwürdig bleibt, dass sich SWR 2 verabschiedet hat. Vielleicht ein wenig zu viel Kultur für einen zerbröselnden Sender?
Zum Glück wird das Projekt weiterhin von der renommierten Unternehmensberatung Vogel&Detambel unterstützt.
Und wieder beglücken die Gutenberg Soloists und das Neunmeyer Consort sowie ausgesuchte Solisten unter Leitung von Felix Koch mit großer geistlicher Musik des Barock in Weltpremieren auf hohem interpretatorischen Niveau.
Allein schon die erste Kantate Kommt alle, die von so manchem Sündenfalle mit ihren düsteren pathetischen Zügen im Eröffnungschor belegt wie weit Telemann vorne lag zu dieser Zeit in Sachen Textdeklamation und Expressivität.
Albert Schweizer wäre begeistert gewesen und hätte dieses Werk Johann Sebastian Bach zugeschrieben und von seiner besten Textdeklamation gesprochen. Und nach ein paar sehr feurigen Arien folgt ein Schlusschor, der mit einer geradezu auf das Kyrie von Mozarts Requiem vorwegweisenden herben sehr kunstvollen Fuge endet.
Telemann war ohne Frage im protestantischen Raum des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation die Nummer eins in Sachen geistlicher Musik in den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts, das haben die Zeitgenossen klar erkannt.
Und mit seinem dramatischen geradezu experimentellen Stil geprägt von französischen und italienischen Einflüssen traf er den Nerv der Zeit und setzte Maßstäbe. Auch für Johann Sebastian Bach. Da hat die deutsche Musikwissenschaft im Traumgrund ihrer eigenen Romantik noch viel nachzuholen.
Freilich fällt das musikalisch bei den Stücken zu Himmelfahrt und Pfingsten ganz anders aus wie bei Bach.
Interessanter Weise ist ausgerechnet die Kantate zum dritten Pfingsttag die längste.
Die Himmelfahrts-Kantate reißt im Eingangschor den Himmel auf mit konzertierenden Oboen und einem polyphonen Al Fresco Stil, der etwas von barocker Deckenmalerei in Tönen hat.
Die zum ersten Pfingsttag ist vergleichsweise schlicht gehalten. Eine wiegende Bass-Arie eröffnet. Der Chor Gott der Hoffnung erfülle Euch hat den französischen Effekt der Feierlichkeit mit einer jubilierenden Fuge im Anschluss. Und ein sehr beschwingt jubelndes Finale bringt der Schlusschor in Rondeau Form mit eingestreuten Soli. Flammend wie die Zungen des heiligen Geistes.
Zwei Hörner geben der Kantate zum zweiten Pfingsttag prunkende Fülle. Das Motto Also hat Gott die Welt geliebet wird vom Tenor in einer zuversichtlich schwingenden Arie vorgetragen. Ein ausdrucksvolles arioses Sopran-Accompagnato wird von zwei Chorälen gerahmt. Während der Schlusschor wieder den Glanz des punktierten französischen Stils verströmt, um in einer fröhlichen Fuge zu münden. Eine Bass-Arie mit Hörner-Schall und ein Choral schließen sich an.
Sehr pastoral wird die Kantate zum dritten Pfingsttag gehalten mit einem im stilus anticus glanzvoll gesetzten Chor über das Motto „Der Herr ist mein Hirte“ Ganz hirtenmässig fällt die ausgedehnte Sopran-Arie aus. Über einem Bordunbass schweben die Streicher wie bei einer Musette in der Begleitung. Auch ansonsten hat diese Kantate manche Kostbarkeiten zu bieten.
Agnes Kovacs Sopran, Jeff Mack Altus und Christoph Pfaller Tenor sowie Nicolas Ries Bass gestalten ihre Partien mit Schmelz und Ausdruck bei den Stücken zu Himmelfahrt und Pfingsten.
Zwei weitere Kantaten nach Trinitatis sind kürzer und haben außer Chorälen fast keine Chöre. Bei diesen überwiegt die dramatische Expressivität in kühnen Accompagnati.
Bemerkenswert ist die Kantate Jesus, sei mein erstes Wort. Der Sopran singt das zuerst allein ohne Begleitung. Das wird Refrain-artig wiederholt.
Bei der Kantate Ein ungefärbt Gemüte kommen wieder Waldhörner dazu und verleihen dem Stück eine gewisse Festlichkeit.
Die Solisten des ersten Teils sind bis auf den Bass andere. Darunter Tenor Hans-Jörg Mammel, der schon bessere Tage hatte. Helene Grabitzky Sopran und Liselotte Fink gestalten ihre Parts mit ausdrucksvoller Gelengikkeit.
Auf jeden Fall dürfen sich alle Musikfans, die etwas tiefer gehen wollen und Neugierde auf Werke abseits vom Mainstream haben, schon jetzt auf die voraussichtlichen nächsten beiden abschließenden Folgen freuen.
Jean B. de Grammont