Telemann auf der Stradivari

Das Label Harmonia Mundi France, einst gegründet von Bernard Coutaz in Arles, hatte schon immer eine Vorliebe für Ausgefallenes und machte sich früh stark für grandiose Komponisten wie Telemann.

In Frankreich wusste man schon im 18. Jahrhundert was gut ist, während der Deutsche meist sauertöpfisch in den Fugen protestantischer Nüchternheit sich vergräbt, öffnet der Franzose aller Geschlechter einfach eine Bouteille Champagner und erfreut sich am Leben.

Nun hat die ebenfalls um Telemann verdiente Akademie für Alte Musik Berlin (kurz Akamus) ein neues Album aufgelegt mit der großartigen Violinkünstlerin Isabelle Faust.

(Siehe die letze Besprechung einer Akamus CD auf haute-culture-jdg.de
INO und späte Orchesterwerke)

Ausnahmsweise ein deutsches Orchester, aber ein gewisser König aus der benachbarten Kleinstadt Ohne-Sorge war ja sehr frankophil. Vielleicht ist da etwas hängen geblieben? Und die Geigerin stammt aus Esslingen in Württemberg, was ja bekannt ist für gute Sekt-Produkte unter anderem.

Et voilá: erst eine Ouvertürensuite, dann diverse Concerti (das Concerto neutrum), eine Sonata und Duos wie eine eigentlich für Traverso gedachte, aber als Violin-Fantasie edierte im einzigen zu Brüssel überlieferten Druck, werden vorgestellt unter Leitung des Primus Inter Parens an den Geigen Bernhard Forck.

Das wird sehr beschwingt gespielt und brodelt und stürmt mit Caprice.

Isabelle Faust spielt die Stradivari Violine „the sleeping beauty“ von 1704, barock bespannt.

Silberhell der Ton, fein wie Seide von der Wandbespannung aus einem Hôtel Particulier des 18. Jahrhunderts.
Und Isabelle Faust spielt mit stupender Virtuosität und zeigt was da an Potential in dem lange völlig unterbewerteten Telemann steckt.

Es gibt eine ganze Reihe an konzertierenden Suiten für Violine und Orchester Telemanns, die Bachs so bekannte und sicher großartige Solo-Suiten für Geige, die landauf und landab heruntergestrichen werden, keinesfalls nachstehen, sondern sie sogar was Einfallsreichtum und Originalität angeht bei weitem übertreffen.

Auch Telemann war mit Johann Georg Pisendel befreundet, einem der größten Geiger seiner Zeit und Konzertmeister der Dresdener Hofkapelle.

Die h-Moll Suite Telemanns wird hier wunderbar dargeboten. Man höre nur die Arpeggien im schnellen Teil der Ouvertüre oder die sangliche Loure, des Weiteren die Soli der Geige in den Trios der Tanzsätze.
Und bei der abschließenden Radomontande geht Telemann in Richtung Paganini, so teufelsgeigerisch werden die Glissandi geschliffen und flotter geht es kaum.

Sehr originell ist desgleichen das lautmalerische Concerto mit dem Titel die Relinge, was Frösche heißt. Mit viel Humor konzertiert die Violine wie ein Teichfrosch, der mit dem Orchester zusammen quakt mit dissonanten Schleifern, zugleich eine sehr avantgardistische Musik ist das, besser fast wie Pierre Boulez und auf Augenhöhe mit Olivier Messian, nur eben Frosch statt Vogel. Im zweiten Satz dann eher ein Mondschein-Idyll und zuletzt, typisch Telemanns vermischer Geschmack, gibt es ein sehr elegantes Menuet mit tändelndem Trio.
Vielleicht ist dieses Concerto gar als Satire auf Virtuosen-Konzerte Vivaldis gedacht? Wäre einem Telemann durchaus zuzutrauen.

Telemann war ein literarischer Komponist und er schrieb selber brillante Texte und Verse und er muss ein großer Leser gewesen sein. Frage ist nur, wann er dazu kam?

Ein Beleg dafür ist das originelle Duett aus seiner Musikzeitschrift Der getreue Musikmeister auf Jonathan Swifts berühmten Roman Gullivers Travels, damals brandneu und ein Bestseller, heute als Kinderbuch abgestempelt, aber eigentlich eine beißende Gesellschaftssatire.
Es gibt darin eine brobdignagische Gigue und eine lilliputsche Chaconne, mit entsprechenden großen bzw. kleinsten Notenwerten. Mehr Witz geht kaum. Und Esprit aller Orten waltet in der Interpretation.

Dann klingt auch die Traverso-Fantasie auf der Violine gut und ein Zirkelkanon, der sich als Werk von Quantz entpuppte.

Nun kommt in der geschmeidigen Streicher-Sonata in der Chaconne der Eröffnung und in der Bourrée des Finale noch eine Clarin-Trompete hinzu, die Glanzlichter setzt.
Meisterlich gespielt von Ute Hartwich.
Nur im italienischen langsamen Satz kann Isabelle Fausts Stradivari singen.

Ein a-Moll Violin-Konzert, das auch als Stück für Oboe überliefert ist, gibt sich als große dramatische Opernszene und völlig bordet es über im Concerto für Violine, Trompete und Violoncello.
Kriegerisch Festlich der erste Satz, ein expressiver langsamer Satz und ein jubilierendes Finale. Doppelgriffe, Bariolage und andere Kabinettstücke mehr für die Violine lassen vermuten Telemann hatte einen großen Geiger seiner Zeit im Sinn. Vielleicht war es Pisendel, von ihm ist eine Bearbeitung des Stücks überliefert.

Es darf ruhig eine zweite CD folgen mit allen Concerti und Orchestersuiten, die Telemann Pisendel bzw. der Dresdener Kapelle gewidmet hat.

Un grand plaisir de l‘Esprit et du goût! Sans doute, einfach aber jeden Zweifel erhaben.

Jean B. de Grammont